Sie schiebt den Putzwagen mit zwei großen Müllsäcken in den Saal und darf Popcorn-Reste entfernen, während die Stiefschwestern sich aufbrezeln. Schließlich sucht der Märchenprinz seine Prinzessin. Regisseur Roman Hovenbitzer hat Jules Massenets französische Oper Cendrillon (Aschenputtel) in ein Kino verlegt. Die musikalische Leitung liegt bei Stefan Veselka. Selten sieht man so viele Kinder in der Oper wie bei der gestrigen Premiere im Großen Haus.
Die Idee, die Oper so zu verorten, ist klasse. Denn Uraufführung war 1899 in Paris, zu einem Zeitpunkt als die Bilder gerade laufen lernten. Auf der Bühne gestern wohnen dann auch sämtliche Darsteller der Kino-Premiere bei, während Cendrillon – natürlich in Schwarz-Weiß – über die Leinwand flimmert. Filmvorführer ist niemand Geringeres als Pandolfe, Aschenputtels Vater, der sich neu verheiratet hat. Nun hat seine neue Frau, Madame de la Haltière, selbst zwei Töchter, die es zu verheiraten gilt. Da kommt so ein Märchenprinz auf Brautschau gerade recht. Das ist schon ein echter Hingucker, wie die beiden Töchter vom shoppen zurückkehren und sich „hübsch“ machen, in grellem Purpur, gelben Fransenstiefeln oder abricotfarbenen Hotpans. Dazu die Haare mit Unmengen von Haarspray zum Hahnenkamm modelliert. Na, wenn das nichts wird. Selbst Madame de Haltière wähnt sich noch in der Konkurrenz um die Gunst des Prinzen, schließlich betet sie Pandolfe ihren Stammbaum runter.
Ach, und dann kennt das arme Aschenputtel seine Aufgaben, fegt und wischt und wienert, während sich die Stiefschwestern für den Besuch bei Hofe vorbereiten. Erschöpft legt sie sich nieder mit einem Pappaufsteller, der das Bild des Prinzen zeigt – ein Werbemittel für den Film. Was Traum ist und was real, verwischt. Ach armes Cendrillon. Und dann steigt die gute Fee mit ihrem Gefolge aus dem Film, ganz in weiß und mit leuchtenden Sternen. Regisseur Roman Hovenbitzer hat sich von Woddy Allens „the purple rose of Cairo“ inspirieren lassen, wo ein Mädchen sich in den Hauptdarsteller verliebt, der dann aus dem Film heraustritt. Mitleid mit dem armen Geschöpf hat die gute Fee, wenn schon der geliebte Vater so schwach ist und das Werben seiner Stieftöchter vielleicht nicht gerade unterstützt, doch zumindest billigend in Kauf nimmt. Der Zauberschuh als Talisman und ein so geschmackvolles Kleid von Feenhand. Da ist Cendrillon selbst ganz bewegt und singt wunderschön. Wie immer überzeugt Henrike Jacob in ihrer Rolle. Sie darf zu Hofe, muss aber um Mitternacht wieder daheim sein.
Auf einer Art Zwischenmembran werden Videosequenzen gezeigt, Aschenputtel auf dem Weg ins Schloss durch den Wald, ein ängstlicher Blick zurück und schon ist das Auditorium bei Hofe, erlebt aufgeregte Staatsminister und einen Prinzen, der auf einer beleuchteten Kanonenkugel angeschwebt kommt. Was interessieren ihn irdische Probleme, wo doch die Sehnsucht bestimmt? Der Gesang von Youn-Seong Shim sagt mehr als tausend Worte. Sein Vater, der König, hat die heiratsfähigen Damen des Reiches geladen und die werden von mal zu mal aufdringlicher, präsentieren dem Prinzen Schenkel und Einblicke. Da bleibt ihm nur die Flucht. Doch dann sieht er sie: die Erscheinung von einem anderen Stern, schön mit lieblichem Gesang. Cendrillon, es geht auf Mitternacht zu. was bist Du noch bei Hofe? In der Eile verliert das Aschenputtel seinen Schuh.
Was gehen den Prinzen die Damen an. Er will nur die Frau, die zu dem Schuh gehört. So gibt es dann etliche Proben, teils mit Fußspray, gequetscht, gelockert, geschoben. Für den guten Ausgang ist die Fee zuständig.
Eine schöne Inszenierung mit tollen Arien. Ein besonderes Kompliment für Bernhard Nieschotz, der sich für die Bühne und die Kostüme verantwortlich zeigt. Auch die vielen Videoeinspielungen sind klasse, zeigen mal nur Konturen, deren Gesamtbild man nur erahnen kann und die die Fantasie anregen. Ich persönlich bin ein Fan von Henrike Jacob, doch gerade auch Gregor Dalal in der Rolle von Aschenputtels Vater hat mich beeindruckt, wie er da spät erst Reue zeigt und für seine Tochter da ist, wie er den Gürtel aus seiner Hose zieht und seine Frau samt der aufgetakelten Töchter mit seiner tiefen Bass-Stimme aus dem Hause jagt. Tout est possible – alles ist möglich.