Das Publikum scheint noch gar nicht richtig angekommen, muss noch ein bisschen ruckeln und schuckeln, da erhebt sich schon eine Rede aus der ersten Reihe von Miss Johnson. Miss Faye Johnson ist Lehrerin an einer Highshool. Eine Schülerin hat sie gefragt nach dem spezifischen Gewicht einer Lüge. So beginnt „Eine Art Liebeserklärung“ mit der fantastischen Carola von Seckendorff in einer Inszenierung von Schirin Khodadadian.
Was zunächst einen etwas theatralischen Anstrich hat, während Miss Johnson von ihrer Arbeit als Lehrerin berichtet, wie schwer das manchmal sei, also eigentlich immer, wächst sich schnell aus, verändert die Farbe und den Geschmack. Als nämlich Miss Johnson von Thommy erzählt, jenem dunkelhäutigen Oberstufenschüler aus schwierigen Verhältnissen, der in ihre Sprechstunde kommt. Wie sich da scheinbar zufällig die Beine berühren. Da sitzt Carola von Seckendorff als Miss Johnson vorne auf der Bank, die wie ein Steg den ganzen Raum durchzieht. Und die Bank ist auch Steg, ein wenig Steg, ein wenig Schulbank, ein wenig Spielfläche. Jedenfalls streift sich Miss Johnson in wohliger Erinnerung an den jungen Mann die Schuhe aus. Und es entwickelt sich nicht ein bloßer Monolog, sondern von Seckendorff füllt die Spielzeit mit so viel Energie, mit so viel Leidenschaft, mit so viel Lust und so viel Leid, dass die Zuschauer sich dem kaum entziehen können. So ist sie pure Erotik als sie von Thommy schwärmt, von seinem Körper und wie sie – eine 30 Jahre ältere Frau – ihn zum schreien bringt und selbst orgastische Lust empfindet. Manch einem im Auditorium mag da ganz anders geworden sein. Stets sucht von Seckendorff auch den Augenkontakt mit dem Zuschauer. Das geht natürlich im U2 auch viel besser als etwa im Großen Haus. Und doch muss man das in dieser Perfektion erstmal beherrschen. Dabei spielt sie sogar in zwei Richtungen, weil auch seitlich eine Stuhlreihe Platz findet. Sie spielt auf dem Steg und hält eine flammende Rede über den Begriff „Nigger“, Neger, Afroafrikaner, Schwarze. Schließlich ist nicht nur Thommy dunkelhäutig sondern auch ihr Ehemann. Ihr Ehemann! „Wie kommt das eigentlich, dass man eine Affäre beginnt?“ fragt sie. „Irgendetwas wird fehlen.“ Und schon erzählt sie von der vorgetäuschten Lust und der Schwierigkeit, Kinder zu bekommen. Und doch liebe sie ihn, er könne gut zuhören. Ob hinten, leidend an der Wand stehend oder über einem Teich auf dem Steg liegend, sitzend, kreischend, schluchzend, jammernd, übermütig, trotzig. Das ist Miss Johnson und damit auch Carola von Seckendorff, die so viel Authentizität in das Stück von Neil LaBute bringt, dass man sich leicht vorstellen kann, es sei nur für sie geschrieben. Ganz großes Kino.