Wie entsteht Terror? deutsche Geschichte mal anders

Wer kennt nicht Ulrike Meinhof? Ulrike Meinhof, die zusammen mit Andreas Baader immerhin Namenspatronin einer oder besser der Terroristengruppe der Siebziger Jahre in Deutschland war. Auch wenn sie sich selbst Rote Armee Fraktion (RAF) nannte, berüchtigt geworden ist die linksextremistische Gruppe als Baader-Meinhof-Bande. Mit dem Stück „heim.weh“ nähert sich Autor und Regisseur Thomas Nufer viel zarter der allmählichen Radikalisierung der Journalistin Ulrike Meinhof als es etwa Stefan Austs reißerischer „Bader-Meinhof-Komplex“ vermochte. Heute Abend fand eine emotional komprimierte Vorstellung auf schauspielerisch hohem Niveau im Pumpenhaus statt. Dabei ist alles angerichtet: die Zuschauer sind mittendrin. Denn das Stück spielt in einem Café im Foyer des Theaters. Zusätzlich sieht das Auditorium im „Bühnenrücken“ aus den großen Fenstern den pulsierenden Verkehr, Das sorgt dafür, dass die beiden Hauptdarstellerinnen sich im übertragenen Sinn noch nackter fühlen müssen.

„Bambule“ hieß Meinhofs erstes und einziges Fernsehprojekt. Für dies Projekt, damals für den Südwestfunk, hat die Journalistin Heimkinder interviewt. Das war ein vergessener Bereich im erblühenden Nachkriegs-Deutschland. Für die Kinder im Heim interessierte sich niemand, ja mehr noch, Heimleitung und Nonnen konnten ihre Macht und Züchtigung weiter ausleben wie in der Zeit des Nationalsozialismus. Über eine Zeitungsanzeige suchte Ulrike Meinhof den Kontakt zu Heimkindern. Bei dem ersten Treffen mit Irene Treber setzt das Theaterstück ein. Irene ist nervös – natürlich. Was erwartet sie? Muss sie Geheimnisse preisgeben? Kann und will sie das überhaupt? Und dann kommt mit Ulrike Meinhof ausgerechnet eine Intellektuelle, die all die Mißstände gleich gesellschaftlich aufbläst und ausschlachtet. Theorie und Praxis in Reinkultur. Bis Irene sich öffnet, vergehen nicht nur etliche Café-Besuche sondern auch einige emotionale Ausbrüche. Selbst das Geschirr bleibt davon nicht unberührt. Am Anfang wirkt Janine Quandt in der Rolle der Irene Treber vielleicht ein wenig zu introvertiert, doch dieser Eindruck vergeht schnell. Unglaublich in welcher Intensität sie in der Kürze der Zeit Gefühle auf den Punkt bringen kann. Die Zuschauer haben ja nicht 10 Therapiesitzungen Zeit. Also muss alles gestaucht werden und trotzdem darf die Essenz nicht verloren gehen. Das macht sie einfach großartig. Dann die intellektuelle, etwas spröde wirkende Corinna Bilke als Ulrike Meinhof, die ihre Sache ebenfalls sehr überzeugend macht. Das liegt zum Teil natürlich auch an Original-Zitaten wie diesem: „Heimerziehung, das ist der Büttel des Systems, der Rohrstock, mit den proletarischen Jugendlichen eingebläut wird, dass es keinen Zweck hat, sich zu wehren. Gewalt produziert Gegengewalt.“  Selbst wenn es so wäre, würde das heute niemand mehr so formulieren. Insgesamt ist da einfach Feuer drin, weil neben der emotional aufgeheizten Situation eben auch ganz verschiedene Typen miteinander umgehen. Dem armen Martin Schlathölter als Kellner bleibt nur, Scherben aufzufegen. Ein lohnender Theater-Abend.

 

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