O Freunde, nicht diese Töne

So viel Andrang gibt es selten. Wenn selbst bei der Einführung ins Werk eine Stunde vor Konzertbeginn einige Menschen stehen müssen, liegt das an einem besonderen Geburtstag, nicht von einem Komponisten oder Musiker, sondern vielmehr von einer Sinfonie. Die Uraufführung von Ludwig von Beethovens neunter und letzter Sinfonie in Wien ist 2024 200 Jahre her. Generalmusikdirektor Golo Berg ordnet historisch ein, erzählt von Rumänien und Nazideutschland, die die Sinfonie vereinnahmt haben, von der Firma Sony, die die Datenmenge auf einer Compact Disc in den 1970er Jahren anhand Beethovens Neunter berechnet hat und von Japan, wo deutsche Kriegsgefangene die Sinfonie im ersten Weltkrieg mit selbstgebauten Instrumenten dargeboten haben. Seitdem wird Beethoven dort stets und mit Begeisterung oft zwischen den Jahren gespielt. All das erzählt Berg natürlich vor dem Konzert. Beim Ersten Sinfoniekonzert selbst ist er gestern Abend im Großen Haus damit beschäftigt, „seine Herde zu bändigen“, also zu dirigieren. Dabei scheint alles bei ihm in Bewegung. Selbst sein schütteres Haupthaar mag dem ein oder anderen Bläser noch Hinweise geben.

Das Auditorium ist ganz vereinnahmt von der Musik, die aber auch ein wenig zum träumen veranlasst, zum „in-den-Sessel-sinken“, wenn die Streicher „einlullen“, wenn die Klarinette einsam ertönt und sich immer wieder einzelne Instrumente melden, vorne, hinten, mittig. Als dann die Sänger*innen – Robyn Allegra Parton, Wioletta Hebrowska, Sung Min Song, Johan Hyunbong Choi kommen und erstmal nur vorne sitzen, die Damen im grau-silbrigen und roten Abendkleid, alle ein Blatt in der Hand, nur sitzen und schauen, da warten alle im Saal mit angehaltenem Atem. Hinten füllt sich im Bühnenrücken der Opernchor. Das ist an Dramatik kaum zu steigern. „O Freunde, nicht diese Töne“ singt Bariton Hyunbong Choi „sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudvollere. – Freude schöner Götterfunke, Tochter aus Elysium“ stimmen die anderen ein. Schillers Text „An die Freude“ war wohl eher eine Art Sauflied, ist dann aber 40 Jahre nach Verfassen von Beethoven mit der nötigen Tiefe versehen worden. Wenn dann der Chor stimmgewaltig, kraftvoll, vielstimmig dem ohnehin schon gewaltigen Sinfonieorchester noch mehr „power“ verleiht, hält es niemanden mehr auf den Sitzen. Ein tolles Konzert mit hervorragenden Musikern – das schließt den Dirigenten ein. Golo Berg – im schwarzen Zwirn – wird nachher sicher schnell duschen gewesen sein.

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