Wenn im mittelalterlichen Bierkeller die Szenerie nur schwach beleuchtet, die Kälte einem langsam die Beine hochkriecht und sich gut 30 Menschen vor Bierfässer kauern, kann man sich mit Jeanne d`Arc in Castillon befinden. Oder aber man ist mit Francois Villon in der neuen Theaterproduktion von Freuynde und Gaesdte in Münster. „Erdbeermund & Galgenstrick“ heißt das neue Stück unter Regie von Anke Winterhoff. Gestern Abend war Premiere.
Die Location ist natürlich klasse und drängt sich geradezu als Spielort auf. Damit diese kleine Zeitreise von gut 500 Jahren aber auch gelingt, braucht es mehr als einen Spielort. Es braucht Zeha Schröder, der Villons Gedichte, derb und doch auch weich, so kunstvoll in den eigenen Text einflicht. Es braucht Zeha Schröder, der in der Rolle des Wirtes Thibaud nicht nur den Gästen (und Villon) Rotwein einschenkt, sondern auch den Charakter von Francois Villon vorstellt, der den Fortgang der Geschichte erzählt und mit Villon gemeinsam singt. Letzteres hätte man vielleicht ein wenig eindampfen können, aber ich sollte auch nicht zu kleinlich sein. Jedenfalls braucht es natürlich noch Helge Salnikau in der Rolle des Francois Villon. Der macht seine Sache so gut, hin und hergerissen zwischen Röcken und Poesie, zwischen Gewalt und Gefühl, dass zwischendurch die eine Zuschauerin, vor die er sich kniet: „Ich bin so wild nach Deinem Erdbeermund, ich schrie mir schon die Lunge wund“ schützend festgehalten wird von ihrem Begleiter. Erst wird sie bezirzt, umgarnt, mit Worten berieselt. Hat er einmal den Schoß genossen, ist Villon die Sache auch bald leid. Wenn er die Geschichte von der Mäusemutter erzählt, die ihre nackten Jungen säugt, wie ihm das die Augen nässt, so zart und sacht, dass er sie ins Bett sich holt und wie der Mäusevater fühlt, das ist einfach klasse gespielt. Überhaupt wird alles lebendig, etwa die Zuhälterballade für die dicke Margot, mit der er zusammenwohnte:
Ich bleibe immer vornehm und diskret
und warte, bis die Kundschaft wieder geht.
Dann zähl ich schnell die blanken Taler nach
(und wehe dir, Margot, wenn einer fehlt!)
und frag, was ihr der Herr noch sonst versprach.
Zuweilen wird auch einer abgekehlt,
weil er sich heimlich drücken wollte
aus dem Kabuff, in dem wir beide wohnen.
Nach 70 Minuten erwacht man aus einer lange zurückliegenden Zeit. Draußen, über dem Keller hat es bestimmt 15 Grad mehr. Ein beeindruckendes Stück, was von der Intensität der Schauspieler lebt. Mein Respekt auch an Zeha Schröder, der aus Fragmenten eine stimmige Geschichte macht und einen Thron für Helge Salnikau zimmert.