Es ist ein Jubiläum, das Gabriele Brüning gestern und kommenden Sonntag im Pumpenhaus feiert. Eigentlich sollte die Vorstellung im Foyer stattfinden, doch dann ist man in den Saal umgezogen. Denn die Nachfrage nach Karten war zu groß – und das nach 10 Jahren. Nach der Novelle von Arthur Schnitzler spielt Brüning Fräulein Else, die ein unmoralisches Angebot erhält und sehr mit sich hadert. Soll sie es annehmen, muss sie es annehmen und so den eigenen Vater vor dem Kerker retten?
Gut gelaunt kommt die 19-jährige Fräulein Else mit dem Schläger in der Hand vom hoteleigenen Tennisplatz. Mit Sissy und Paul hat sie gespielt. Es gibt ein paar kleine Eifersüchteleien, wie das normal ist im Umgang mit Gleichaltrigen. Else erzählt von Paul und von Fred und von Sissy, von ihrem ganzen kleinen Kosmos, der vielleicht begrenzt aber doch in Ordnung ist. Eine normale heranwachsende Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich allerdings nicht zu Hause befindet, sondern in einem Trentiner Kurort.
Und dann platzt ein Expressbrief der Mutter herein, als Else sich gerade in der Hotellobby befindet. Ob Else den im gleichen Hotel logierenden wohlhabenden Kunsthändler Dorsday fragen könne, dass dieser Elses Vater, also Else aus einer misslichen Lage befreien könne. Ihr Vater habe 30.000 Gulden Spielschulden und wenn Dorsday diese Summe nicht zur Verfügung stelle, müsse der Vater in den Kerker. Hier beginnt Elses Seelenqual, denn sie weiß nicht, wie sie es anstellen soll und skizziert die bloße Möglichkeit von Gegenleistungen, ohne konkret zu werden. Ekel und Abscheu. Gabriele Brüning nimmt das Auditorium mit auf eine Reise nach innen. Dabei ist dies ja erst Vorgeplänkel. Noch weiß Else ja nicht, was sie erwartet und ernsthaft kann sie sich das auch gar nicht vorstellen. Dorsday, der schon länger ein Auge auf die junge Frau geworfen hat, geht mit Else spazieren, berührt sie wie zufällig und drapiert sie auf einer Bank. Else schüttelt sich. Irgendwann rückt er damit heraus, dass er sie 15 Minuten nackt sehen will. Das innere Martyrium beginnt für Else nun erst recht. Und dann kommt ein weiterer Expressbrief, demzufolge die Summe sich sogar auf 50.000 Gulden belaufe. „Warum nicht eine Million?“, fragt sich Else und man spürt förmlich die wachsende Körpertemperatur. Gabriele Brüning spielt dabei gleich mehrere Rollen, die des sittsamen Mädchens, der folgsamen Tochter, der jungen Frau mit dem Recht und dem Wunsch auf sexuelle Selbstbestimmung und schließlich auch die Rolle des Kunsthändlers, väterlich-überheblich, eitel, selbstverliebt, schmierig. Brüning gelingt der abrupte Wechsel zwischen irrsinnigem Gelächter und verzweifeltem Schluchzen und ist doch zwischendurch immer wieder witzig. Man nimmt ihr die Rolle der 19-jährigen ab, das wirkt nicht aufgesetzt. Selbst die kleinen Dinge wie Lächeln, Gesten und Bewegungen passen – alles ist 19. Gabriele Brüning überzeugt in allen Schattierungen, die Zuschauer sind förmlich aufgesogen von der Seelenqual und hoffen auf einen Ausweg. Der Tod des Vaters, kurz als Möglichkeit skizziert, wird direkt wieder verworfen. Dann schon eher der eigene, sie hat ja noch das Veronal, ein Barbitursäure-Derivat, das früher als Schlafmittel verwendet wurde.
Zu Beginn – da ist Gabriele Brüning gerade auf Betriebstemperatur und aus Tennisssachen geschält, kommen verspätete Besucher, eine Familie mit einem Kleinkind. Die Familie bleibt nur 5 Minuten, in denen das Kleinkind immer wieder lauthals seine Eltern anspricht. Aber selbst 5 Minuten können sehr lang werden. Da zeigt sich dann die wahre Größe eines Profis: Brüning spielt unbeirrt weiter und gerade als sich der kleine Junge wieder zu Wort meldet, liest Brüning laut und eindringlich aus dem Brief: „Liebes Kind…“ Danach sieht die Familie ein, dass die Idee, mit dem Nachwuchs eine szenische Lesung zu besuchen, nicht die beste war.
Es ist kein Wunder, dass Fräulein Else schon seit 10 Jahren läuft.