Wie kurz der Weg doch ist von der Musterung, die gar nicht schnell genug erfolgen kann, wo man schon mal die Hand vom Geschlecht nimmt, um gestenreich die Vorfreude auf den Krieg zu unterstützen. Über das Ausheben von Schützengräben und Latrinen bis zum richtigen Krieg an der Front mit Detonationen, Granatsplittern, aufgeschlitzten Körpern, heraushängenden Augen und spritzender Gehirnmasse. Gestern Abend spielten im U2 Charles Morillon und Joachim Foerster in französischer und deutscher Sprache den Rekruten Jean Dartemont. Das Stück heißt „Heldenangst“ nach dem Roman von Gabriel Chevallier in einer Fassung von Friederike Engel. Regie führt Schauspielchef Frank Behnke.
Eine geniale Idee, das Schauspiel zweisprachig aufzuführen, auf die man erst mal kommen muss. Deutsche und Franzosen lagen sich gegenüber im Ersten Weltkrieg, dessen Ende jetzt 100 Jahre her ist. Man kann davon ausgehen, dass die Gefühle bei den jungen Männern, die mit Messern und Bajonetten in den Krieg zogen, auf beiden Seiten gleich waren – das bekräftigt Joachim Foerster fast zum Schluss noch einmal, als er von den „Söhnen Balzacs und Goethes“ spricht, die einfach verheizt wurden. Beide Schauspieler sparen nicht mit drastischen Schilderungen, da wird nicht von „gefallen“ oder „Vaterland“ gesprochen, oder wenn, dann doch spöttisch. Durch die Zweisprachigkeit gewinnt das Bühnenstück jedenfalls unglaubliche Authentizität und Lebendigkeit. Jede Sprache hat eine eigene Melodie und Geschwindigkeit. Zwar wird der Text bei den französischen Passagen, wenn er nicht direkt auch deutsch gesprochen wird, an der seitlichen Wand übersetzt. Doch eigentlich braucht man das nicht zu lesen, wenn man es nicht sowieso versteht. Denn die Dringlichkeit, die Angst, das Entsetzen, das Leiden, den Horror – das alles hört man auch so und man kann es vor allem an den Schweißperlen ablesen, die Charles Morillon über das Gesicht laufen. Dabei spielen die beiden auf einem riesigen Berg Lumpen, Kleidungsstücke, die, da mag man mutmaßen, anderen Soldaten gehört haben mögen. Morillon und Foerster machen das so packend, werden immer lauter, dann wieder leiser, entdecken die erste Leiche, hunderte werden folgen, sind allein in ihrer Angst und tasten ihre Gliedmaßen ab, während ringsum Schreie ertönen Noch alles dran. Und dann, auf Heimaturlaub wird Jean Dartemont in seiner deutschen und französischen Version doch tatsächlich vom Vater gefragt, warum er nicht schon längst befördert wurde. Während Jean Dartemont verzweifelt nach einem Stück Lebensnormalität sucht, macht sein Vater ihm Vorhaltungen, dass Irgendein Sohn von irgendeinem Vater schon längst mit Auszeichnungen behangen sei. Dartemont ist sprachlos und es erfolgt dann auch ein emotionsloser Abschied am Bahnsteig, Hauptsache der Vater kann rechtzeitig Kartenspielen. Zurück geht es für Dartemont an die Front.
Eine grandiose Leistung des zweisprachigen Duos, intensiv, einfühlsam, mitreißend. Der Krieg in schonungsloser Deutlichkeit, da ist nichts mehr über vom Hurra-Patriotismus des Anfangs. Kein Wunder, dass das Stück werden des Zweiten Weltkriegs verboten war.