Sonnenaufgang im Kino

Es gehört zu den Highlights im kulturellen Münster, zumindest bei Kennern – das Kinokonzert im Cineplex. Gestern spielte eine Rumpfmannschaft des Sinfonieorchesters Münster (und die machte ordentlich Dampf) zu Friederich Wilhelm Murnaus Stummfilm „Sunrise – a song of two humans“ unter der musikalischen Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg und zwar Musik von Joe Kraemer, eine Auftragsarbeit der Dallas Chamber Symphony aus dem Jahr 2016.

Die ersten Takte macht das Klavier, doch schnell fällt die Harfe ein und dann der Kontrabass. Es gibt tatsächlich einen langen Vorspann, wie man ihn heute kaum mehr kennt. Die Geschichte ist schnell erzählt, doch weil es eben ein Stummfilm ist, muss die Musik die emotionalen Verwerfungen betonen, verstärken oder gar erst erzeugen. Der männliche Protagonist, ein verheirateter Farmer und Vater eines kleinen Kindes, gespielt von George O`Brien, beginn eine Liaison mit einer Städterin, was die Gattin (Janet Gaynor) recht schnell merkt. Auftritt der Geigen und Bratsche, Zeit für Wehmut und Trauer, wobei selbstverständlich auch die Harfe ein gehöriges Wort mitzureden hat. Die Geliebte redet dem Farmer ein, dass er seine Frau ertränken möge und es wie einen Unfall aussehen lassen soll. Schlagwerk, Posaune und natürlich wieder Geigen, deren Saiten zittern. Natürlich weist der Farmer das Ansinnen brüsk zurück. Doch ach, das Fleisch ist schwach. Schon lädt der Gatte seine Angetraute auf eine Bootstour ein. Wie sie sich freut und zurecht macht, einen Hut aufsetzt, das Kind der Schwiegermutter überlässt und ihren Gatten verliebt anhimmelt. Der wiederum würdigt sie nicht eines Blickes, schwitzt und reißt an den Rudern. Heute soll es also sein. Die zunächst fröhliche Musik, unbeschwert und leicht, weicht Bedrohung. Das Publikum im Saal 3 des Cineplex ist ganz gefesselt, doch trotz aller Dramatik gibt es auch immer wieder Stellen, bei denen man lachen muss. Das ist das eigentlich Faszinierende, dass es den Musikern gelingt, hier auch eine Leichtigkeit hereinzubringen, trotz der psychischen Anspannung, unter der die beiden Hauptakteure stehen, etwa als die Geliebte draußen pfeift und die Posaune diesen Ton gibt, der schon beinahe maskulin wirkt. Der Farmer schafft es nicht, seine Frau zu ertränken, doch sie merkt, was er vorhatte und kann ihm nicht mehr trauen. Sie flieht vor ihm, was die Streicher begleiten. Fortan kümmert er sich liebevoll um sie, kauft Gebäck, geht mit ihr auf den Jahrmarkt, fängt ein Ferkel und legt eine heiße Sohle mit ihr aufs Parkett. In der Kirche vergießt er Tränen, erkennt seine Liebe. Und dann werden beide bei der Rückkehr von einem Gewitter überrascht. Der Blitz schlägt ein, das Boot sinkt und die Gattin ist verschwunden. Die Pauke will ja auch etwas zu tun haben.

Ein tolles Kinokonzert mit einem wunderbaren Film, der damals, also 1927 übrigens floppte, weil da gerade der Tonfilm einsetzte, eingängige, gefühlvolle Musik, ein überzeugendes Sinfonieorchester, Trauer, Melancholie und Witz. Sowas wünscht man sich öfter.

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