Die Reihenfolge der Komponisten und der gespielten Stücke gestern Abend im Großen Haus beim 3.Sinfoniekonzert ist gut gewählt, konnte das Auditorium nach der Pause bei Mozarts Linzer Sinfonie doch sanft schlummern oder zumindest kurz einnicken – die Pauke weckte es rechtzeitig. Das Konzert steht unter Goethes programmatischen Titel: „Zwei Seelen wohnen, ach“. Golo Berg, Münsters Generalmusikdirektor, sitzt derweil entspannt im Publikum, denn heuer hat Marc Niemann, Generalmusikdirektor in Bremerhaven, das Ruder in der Hand. Als Solist ist ein besonderer Gast eingeladen, der Klaviervirtuose Matthias Kirschnereit.
Niemann kennt sich aus mit weiblichen Komponisten, dirigiert er deren Musik doch regelmäßig in Bremerhaven, nicht nur Emilie Mayer. Ihre Ouvertüre zu Faust steht gestern auf dem Zettel. Und diese Zerrissenheit von Faust über den Pakt mit Mephisto bis zur Erlösung ist in Mayers Ouvertüre jederzeit spürbar. Die Komponistin, die es schon zu bescheidenem Ruhm gebracht hat, als es absolut unüblich war, als Frau eine musikalische Ausbildung zu erhalten, schafft es, Leichtigkeit, Feierlichkeit, Schwermut, Todessehnsucht in Musik zu übersetzen. Dazu passend Niemanns Bewegungen, fließend und abgehackt, staccatoartig und emotional. Eine Ouvertüre, die dafür sorgte, dass das Publikum seine Sitze in eine aufrechte Position verstellt hätte, wären wir denn im Flugzeug.
Und dann kommt der Großmeister seines Faches. Großgewachsen, ohne jegliche Allüren schlendert Matthias Kirschnereit an den Kontrabässen vorbei, die heute zur Abwechslung auf einem kleinen Holzpodest am linken Bühnenrand stehen. Ich habe von meinem Platz eine hervorragende Sicht auf die Tastatur des Steinway-Flügels und erstarre noch immer in Ehrfurcht, mit welcher unglaublichen Geschwindigkeit Kirschnereits Hände über die Tastatur huschen. Felix Mendelssohn Bartholdys Konzert für Klavier und Orchester interpretieren Kirschnereit und die Musiker des Sinfonieorchesters Münster. Wie Mozarts Linzer Sinfonie soll Mendelssohn Bartholdy das Konzert innerhalb weniger Tage komponiert haben, inspiriert von einer Romanze, einem Flirt, einer Affäre mit der jungen Pianistin Delphine von Schauroth. Das Konzert besteht zwar aus drei Sätzen, doch gehen diese fließend ineinander über, so dass dem Konzert mehr Struktur verliehen wird. Kirschnereits Hände wirken wie zwei Tiere, langestreckt mit nicht enden wollenden Fingern. Die Interaktion mit dem Orchester scheint, als ob der Solist schon sein Leben lang mit den Münsteranern zusammenspielt, unglaublich schnell im Wechsel mit dem Orchester, punktgenau, harmonisch. Die Welle der Gefühle umspielt Mendelssohn Bartholdy, drückt ihn unter Wasser, sodass er kaum Luft bekommt. So ungefähr ist der erste Satz des Konzerts, man hechelt nach Luft, spürt diese Leidenschaft, die Energie, die Urgewalt. Im zweiten Satz wird es emotionaler, ruhiger, verzehrender – so als ob Mendelssohn-Bartholdy gerade diese zweiten Satz nur für Delphine von Schauroth geschrieben hat, ein intimer Blick in sein Seelenleben, aus stürmischem Drang wird emotionale Nähe, romantische Vertiefung kann man vielleicht sagen. So klingt es, und im finalen dritten Satz wird es wieder lebhaft. Das Publikum möchte den Klaviervirtuosen gar nicht entlassen, so geflasht ist es. Aber der Solist gibt auch noch Zugaben, spielt Chopins Nocturne Nr. 20 und Claude Debussys Mouvement. Die volle Aufmerksamkeit ist ihm sicher.
Nach der Pause kann man dann den Sitz zurückstellen und die Schlafbrille aufsetzen. Mozarts Linzer Sinfonie, angeblich an nur 4 Tagen bei einem Besuch in der Stadt geschrieben und perfekt komponiert, aber eben auch ohne jeden Bruch, ist zweifellos großartige Musik. Aber man schreckt nicht hoch, keine zwei Seelen, die in der Brust wohnen, keine Liebesstürme. So hat man noch mal eine halbe Stunde zum Auskühlen. Ein schönes Konzert.