die Vorliebe nach fremden Augäpfeln

Ob im Zug von Ingolstadt zum Kopfbahnhof nach Cuxhaven, auf Lesbos oder in Kanada, vor allem aber in Münsters blauen Haus – die Theaterproduktion „Freuynde + Gaesdte“ macht überall eine gute Figur. Diesmal erweckt sie Mary Shelleys „Frankenstein“ zum Leben. Die Produktionsleitung obliegt Anke Winterhoff, die Regie teilen sich alle Darsteller*innen. Das sind neben Winterhoff selbst Helge Salnikau, Zeha Schröder und die großartige Gabriele Brüning.

Für die, die es nicht kennen: Es ist eine Eigentümlichkeit des Spielortes, dass die Bühne sich auf eine kleines Tischchen beschränkt, auf das sowohl Salnikau wie auch Schröder einer Heuschrecke gleich aus dem Stand heraus springen. Aber was sage ich? Die Bühne ist nicht beschränkt, sie besteht aus dem ganzen hinteren, verwinkelten Teil im blauen Haus. Überall wird geklettert, gemeuchelt, gesprungen, rezitiert, redigiert, reüssiert. Zwischendurch gibt es reichlich Literaturzitate und a capella-Liedgut, etwa the lion sleeps tonight mit unglaublichem Stereoeffekt, weil die Sänger sich gekonnt verteilen. Auf der Treppe stehend imitieren die vier Schauspieler*innen eine Eisenbahn mit einem Pfeife rauchenden Professor als Zugmaschine.

Victor Frankenstein (Helge Salnikau) glaubt sich im Auftrag vom alten, tattrigen Professor Waldmann (Gabriele Brüning), als er das Familiengrab der Müller-Thurgaus öffnen lässt. Dabei soll er eigentlich nur des Professors Schnellkomposter beschleunigen. Sein etwas beschränktes Faktotum Ygor (klasse ist Zeha Schröder, debil mit Überbiss und Buckel) steckt allerdings nicht den gewünschten frischen Leichnam des Sohnes in den Leichensack sondern den der mittelalten verstorbenen Geigenspielerin. Doch, ach es bleibt keine Zeit für einen Umtausch, die Sterne stehen günstig, das Gewitter ist im Anmarsch, es muss jetzt sein. So ist das neu erschaffene Wesen also weiblich. Wie Gabriele Brüning der Figur Odem einhaucht, ist einfach wunderbar, des Sprechens unfähig (noch) gestikuliert sie, entwickelt eigene Vorlieben, wie die nach fremden Augäpfeln. Auch die arme Verlobte von Victor Frankenstein, Elisabeth Lavenzer (Anke Winterhoff), muss dran glauben. Für Frankenstein selbst scheint der Verlust verschmerzbar, seine Gedanken sind eher bei dem Wesen. Ganz anders Henry, Victors Jugendfreund (Zeha Schröder), der allerdings auch schon eine gemeinsame Nacht mit Victors Verlobter im Zugabteil verbracht hat.

Eine wilde Geschichte, die nach der Pause vielleicht ein paar Längen hat, die aber insgesamt von der Leuchtkraft der Schauspieler*innen lebt, die soviel zu bieten hat an Anspielungen und Missverständnissen, an Komik und Wortwitz, an action und fun, dass es eine Freude ist. Nicht umsonst sind die Karten bereits Stunden nach Öffnung des Vorverkaufes vergriffen.

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