die zersägte Geige

„Das zweite Sinfoniekonzert ist immer besonders“, sagt Golo Berg in der Einführung, „Im letzten Jahr chinesisch, diesmal experimentell“. Und der Generalmusikdirektor hat nicht zu viel versprochen. Auch Musikdramaturg Frederik Wittenberg ist so begeistert, dass er fast die Zeit vergisst, als er von Moondog erzählt, jenem blinden Komponisten, der, aus den USA kommend, seine letzten Jahre in Münster verbrachte und tausende von Kompositionen in Brailleschrift hinterließ. Gestern Abend also das zweite Sinfoniekonzert im Großen Haus, diesmal mit Verstärkung des Osnabrücker Sinfonieorchesters.

Denn das feiert ebenfalls das hundertjährige Jubiläum. Was liegt da näher, als dass die beiden Jubilare zusammen feiern? Bevor allerdings Andreas Hotz seine Musiker mit dem Heldenleben von Richard Strauss beschäftigt, widmen sich die münsteraner Kollegen eben jenem Moondog. Drei Stücke hat Berg ausgesucht, die zwar nicht eben lang sind, die es aber trotzdem in sich haben und das Facettenreichtum des Komponisten zeigen. Sind es erst die Bläser, die bei „Stamping Ground“ die Streicher dominant in die Schranken weisen, scheinen letztere sich bei Symphonique No. 3 zu rächen, indem sie die Bläser gar nicht mehr zu Wort kommen lassen. Ausgleichend wirkt dann „Bird`s Lament“. Schon hier kann man den Hut ziehen vor Golo Berg, der es versteht, das konservative Publikum in Münster mitzunehmen auf einen Ausflug, der immer wieder den Horizont weitet, ohne die Linie völlig zu verlassen.

Großartig dann die beiden Solisten bei Heiner Goebbels „Surrogate Cities“, was soviel bedeutet wie Stellvertreter-Städte. Mit musikalischen Mitteln wollte Goebbels das Porträt einer imaginären Metropole entwickeln. „Surrogate Cities“ ist der Versuch, sich von verschiedenen Seiten der Stadt zu nähern. Von der Seite kommt auch David Moss, der es versteht, singend unglaublich verschiedene Stimmlagen zu besetzen, mal ganz hoch und schon wieder tief, als wollte er Luigi mit Betonfuß im Fluss versenken, kreischen, schreien, seufzen und nebenbei spielt er noch Schlagzeug. Über der Bühne läuft ein Band, auf dem das spärliche Englisch noch übersetzt wird, was eigentlich nicht nötig ist. Vielleicht als Jocelyn B Smith vom Krieg zwischen Rom und Alba singt, ein gesungenes Epos, eine Ballade für Mezzosopran und Orchester, blutgetränkt, ein Geschwistermord. Smith ist einmalig. Ich habe sie vor vielen Jahren beim WDR-Fest erlebt und später auf der kinderonkologischen Station der Uniklinik. Sie ist als Mensch toll und als Sängerin, trifft jeden Ton und hat Ausstrahlung. Sie muss sich nicht bunt behängen oder grell schminken.

Nach der Pause ist dann etwas Stühlerücken angesagt, weil sich die Zusammensetzung des Orchesters ändert – endlich wollten auch die Niedersachsen musizieren. „Ein Heldenleben“ – man weiß bis heute nicht so genau, ob Strauss sich da vielleicht selbst gemeint hat. Irgendwie ist das ja auch gelungen, von dieser Welt zu verschwinden und der Nachwelt solch ein Rätsel zu hinterlassen. Die Osnabrücker machen das gut, all diese Fülle, und dann wirkt der erste Geiger ganz so, als wollte er sein Instrument zersägen, nur um direkt im Anschluss wieder emotional zu streichen, die Geige zärtlich zu liebkosen. Auch Dirigent Andreas Hotz hat seine Mannschaft im Griff, aber mir fehlt ein bisschen das Besondere, Außergewöhnliche, das die erste Hälfte auszeichnet. Ich fühle mich sacht in den Schlafmodus rutschen.

Insgesamt aber ein tolles Konzert, und vielleicht soll das Auditorium ja auch wieder zur Ruhe kommen.

Schreibe eine Antwort

Navigiere