Fassbinder würde sicher nicht AFD wählen

Fünf Schauspieler, zwei Stunden, ein grandioses Bühnenbild. Gestern Abend zeigte das Theater Münster im Kleinen Haus die Premiere von Falk Richters „Je suis Fassbinder“. Regisseur Max Claessen hat die übliche Bestuhlung aufgehoben. Stattdessen befand sich die Bühne in der Mitte, was naturgemäß von den Schauspielern einiges abverlangte, schließlich musste zu zwei Seiten gespielt werden. Doch die Theaterleute haben sich einen besonderen Clou einfallen lassen: Kameramann Sven Stratmann filmte fortwährend jeden kleinen Winkel, Körpersprache und Mimik der Darsteller. Live wurde auf  beidseitigen Monitoren über der Bühne übertragen.

Deutschland im Herbst ist ein Episodenfilm, der sich mit der Zeit des Terrorismus in den siebziger Jahren auseinandersetzt. Verschiedene Regisseure haben dabei mitgewirkt und sind für einzelne Sequenzen verantwortlich. Den Anfang macht Rainer Werner Fassbinder mit einem Interview mit seiner Mutter über elementare Fragen der Demokratie. Hier setzt das Theaterstück ein, das aber aktuell spielt. Uraufführung war 2016 in Straßburg. Das komplette Bühnenbild ist 40 Jahre alt, eine Wohnung. Angefangen von der Stehlampe als Kelchbeleuchtung, über Trimmrad und Zigarettenautomat, Badewanne, Sessel, Schwarz-Weiß-Fernseher. Ilja Harjes spielt Fassbinder, der ein Stück geschrieben hat, das gerade geprobt wird. Gary Fischmann als Fassbinders Mutter hat immer wieder Textaussetzer, eine Souffleuse ist stets zur Stelle, doch Harjes ist nicht zufrieden, auch weil er immer wieder mit „Ilja“ angesprochen wird, dabei ist er doch Fassbinder, Rainer Werner Fassbinder und nicht Ilja. Parallel zur Probe trainiert Jonas Riemer auf dem Trimmrad, der sich mehr für so profane Dinge wie fehlenden Schweißgeruch interessiert. Claudia Hübschmann steigt aus der Badewanne und Natalja Joselewitsch erhebt sich vom Sofa. Irgendwann sitzen sie alle fünf am runden Eßtisch und verzehren Pasta. Und dann vermischt sich alles, das Private und das Politische, die siebziger Jahre und die Gegenwart, das Stück, Sexualität und überhaupt das Leben. Demokratie nimmt einen großen Teil ein. „Das kleinste Übel“ wie Garry Fischmann sagt. Was denn besser sei, will Harjes wissen. „So einen lieben, guten und artigen Präsidenten“ wünscht man sich, wie weiland Fassbinders Mutter es wollte. Die Silvesternacht in Köln, als es zu zahlreichen sexuellen und Eigentumsdelikten kam, ist Thema und schürt Ängste. Harjes als Fassbinder nimmt einen besonders provokativen Standpunkt ein, als er erklärt, dass die Frauen sich hätten locker machen müssen. Vielleicht hätten sie es genießen können. Das sorgt sogar von den Rängen für einige Mißfallensbekundungen. Attentate wie in Paris, als später auch hierzulande Solidarität ausgedrückt wurde: „Je suis Charlie“ als auf die Redaktion von Charlie Hebdo ein Anschlag verübt wurde – „Je suis Fassbinder“. Harjes ist Fassbinder. Wünscht man sich da nicht Orban, Putin, Kaczynski? Jemanden, der für Recht und Ordnung sorgt? Die AFD ist natürlich omnipräsent, gerade vor der Wahl nächste Woche. Faschisten im Deutschen Bundestag. Theater kann keine direkten Lösungen anbieten, aber es kann gesellschaftliche Entwicklung aufzeigen und zum Denken anregen. Das Theater Münster hat seinen Beitrag geleistet.

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