Welch eine Persiflage, welch Budenzauber mit Blitz, Donner und wehenden Vorhängen, welch Zumutung für Arachnophobiker, das sind jene Menschen, die Angst vor Spinnen haben. Das war gestern Abend mal eine ganz andere Operninszenierung in Münsters Großem Haus. Mit „Il Giasone“ unter der Regie von Michiel Dijkema und unter musikalischer Leitung von Clemens Flick lies sich das Ensemble zurecht feiern.
Zwar konnte ich persönlich mit dem Countertenor Benjamin Lyko, ausgerechnet in der Hauptrolle von Giasone, besser bekannt als Jason auf der Suche nach dem goldenen Vlies, nicht viel anfangen. Regelmäßig stellten sich meine Nackenhaare hoch, wenn er zu singen begann. Doch bei Licht betrachtet gab er mit der hohen Stimme eine Art Antiheld ab. Warum die Königinnen ihm gleich doppelt zu Füßen lagen und jeweils Zwillinge von ihm gebaren, ist ein Rätsel, das gelöst werden kann: Denn es hatten gleich mehrere Götter ihre Finger im Spiel, allen voran Amore, Gott der Liebe, klasse besetzt mit Dora Pavliková, die mit Pfeil und Bogen zu Boden geschwebt kommt. Und dann waren da ja auch noch die beiden Königinnen, die mich gesanglich am meisten beeindruckt haben: Robyn Allegra Parton als Isifile, Königin vom Lemnos und insbesondere Wioletta Hebrowska als Medea, Königin von Kolchis. Die beiden Sopranistinnen überzeugten gesanglich und fanden exakt das richtige Tempo und den richtigen Einsatz. Medea war es, die einen spektakulären Auftritt in der Unterwelt hatte, mit der Bitte um Unterstützung. Die Bühne, ganz in rot getaucht, stolpert Medea beinahe über Totenschädel und Gebein. Sie erhält von schwarzen Gestalten einen goldenen Ring, bevor die die Gebeine aufklauben, als wäre es deren Mittagsimbiss. Der Ring soll unserem Helden die nötige Kraft verleihen für den Kampf mit dem Beschützer des goldenen Vlieses. Und Giasone kann jede Hilfe brauchen, denn der – das kann man so sagen – denkt nur ans vögeln. Mal wackelt das Zelt im Takt, mal gibt es einen Blowjob, zur Not wird der Liebe auch ohne Zelt gefrönt – natürlich theatertauglich, versteht sich. Auch die anderen Figuren der Handlung bis hin zum Hermaphroditen sind sexueller Lust gegenüber nicht abgeneigt. Einen besonderen Reiz übt eine ganze Schiffsladung Argonauten in Kampfausrüstung aus. Deren Führer ist Kihoon Yoo, in einer Doppelrolle, hier als Hauptmann Besso, ausgerechnet mit pinkfarbenem Federschmuck. Da funkt es vor animalischer Lust, man riecht förmlich den Männerschweiß. Aber irgendwann ist es dann doch soweit, dass Giasone gegen eine riesige Spinne kämpfen muss. Die fährt ihre langen, haarigen Beine über den Orchestergraben bis in die erste Reihe aus. Wie gut, dass sie die Musiker unbehelligt lässt. Die steigern mit Hilfe von Langhalszupflauten die Dramatik. Giasone hat zum Glück den Ring, der ihn beschützt. Mit Hilfe seiner Energie (und einem Schwert) gelingt es Giasone, das Untier zu bezwingen, und das Widderfell an sich zu bringen. Schon braut sich neues Unheil zusammen. Großer Auftritt von Giove oder Jupiter oder Zeus, dem Göttervater, ebenfalls gesungen von Kihoon Yoo, mit Windmaschine und Plastikblitz, vor allem aber mit helfenden Göttern, die sich ins Theater schleichen und mir zu sechst ins Ohr singen, laut und durchdringend, wenn sich das mal nicht zum Tinnitus auswächst.
Eine fulminante, bunte, kurzweilige Inszenierung, die im Vergleich zum Original gekürzt und auch sprachlich angepasst wurde.