Wilko Franz kann einem fast ein bisschen leidtun. Der umtriebige Veranstalter hat stets die Aufgabe, das Auditorium auf gutes Benehmen hinzuweisen. Sind es mal – wie beim audiovisuellen Picknick – die Knistergeräusche, die doch bitte auf ein Minimum zu reduzieren sind, so war es gestern im Pumpenhaus ein kleiner Teich in Trapezform, den die Theaterleute vor der Bühne angelegt hatten und den die vielen, vielen Besucher nicht durchwaten sollten. Die Menschen sind seinetwegen gekommen: Martin Kohlstedt gab sich die Ehre – nach dreieinhalb Jahren Münster-Abstinenz.
Der Pianist und Komponist wirkt ganz entzückt, so liebevoll hat man sein Erscheinen flankiert. Es ist nicht nur der schon extrem ungewöhnliche See in einem Theater, es ist insbesondere die Technik, Farbige Scheinwerfer, rot und violett, die Lichtkegel in den Teich werfen oder das Trockeneis beleuchten, auf das es wie quellende Watte aussieht. Mal scheint auch nur ein einzelner Spot, aschfahl wie das Licht des Mondes, dann wieder einzelne Sonnenstrahlen, was dem ganzen etwas Natürliches, vielleicht auch Heiliges verleiht. Im Zentrum sitzt Martin Kohlstedt auf einem Klavierhocker, rechts das Piano, links die Technik und hinter sich, quasi im Bühnenrücken, noch mehr Technik, die an r2d2 bei Star Wars erinnert. Überhaupt weht so etwas wie Raumschiffatmosphäre über die Bühne, all die Regler, die Kohlstedt so mühelos bedient, mal hierhin, mal dahin schiebt, ein Griff nach rechts, ein blinkendes Lämpchen dort, das Geräusch eines Kreisels, der immer langsamer wird und bei seiner Rotation irgendetwas schrammt, ein Geigerzähler, der tickt. Und dann entwickelt sich eine Melodie, Kohlstedt dreht sich zum Klavier, seine langen Hände huschen über die Tasten, als ob nicht Hände sondern Tiere aus seinen Ärmeln herausragen. Und dann beugt er seinen Oberkörper immer weiter runter. Sein Mund ist meistens weit geöffnet, ein Lächeln scheint fortwährend auf seinem Gesicht zu liegen. Die Musik nimmt einen mit fort, ist ein lebendes Gebilde, das ständig die Konturen ändert. Nichts scheint fertig, alles ist im Fluss. Zwischendurch erzählt Kohlstedt von seinen Anfängen, als er 12 war und auf dem Familienklavier immer wieder das A angetippt hat, von dem er freilich nicht wusste, dass es das A war. Er erzählt von seinem Vater und seinem älteren Bruder, die beide Gitarre gespielt haben und dass er nicht dahinter zurückbleiben wollte. Wie er versucht hat, Intimität zu schaffen, indem er das Instrument öffnete und mit dem Kopf hereinkroch. Dabei berichtet er leise, als wollte er den Klang der Musik nicht entzaubern. Er wirkt so zart, so sympathisch, so ergriffen, und vor allem so ganz eins mit der Musik, was sich auch auf die vielen Menschen im Saal überträgt. Selten sind eineinhalb Stunden so schnell vergangen.