Niemand spielt die Klarinette so schön wie sie, glaube ich. Wie diese kleine Frau das scheinbar viel zu große Instrument bedient, wie sie ihren Oberkörper neigt und strafft, wie sie ihn beugt und dehnt und dabei trotzdem alle Töne trifft. Gestern spielte Bettina Aust mit dem Sinfonieorchester Münster unter musikalischer Leitung von Mikhel Kütson beim 3. Sinfoniekonzert im Großen Haus Carl Maria von Weber. Der hat viel mehr als den Freischütz geschrieben, zum Beispiel das Konzert für Klarinette und Orchester Nr. 1 f-Moll op. 73.
Die ersten fünf Reihen im Theater sind nur spärlich besetzt. Schade. Denn die Menschen verpassen einen musikalischen Leckerbissen. Ein wie immer grandioses Sinfonieorchester spielt zunächst John Adams „Chairman Dances“. Der US-amerikanische Gegenwartskomponist ist einer der bekanntesten Vertreter der „Minical Music“, also eines Musikstils, der auf sich wiederholenden harmonischen Mustern aufbaut. „Rhythmus und Ton“, wie die Musikdramaturgin Isumi Rögner bei der obligatorischen Einführung ins Werk im Theatertreff erklärt. „Wir kennen das aus afrikanischen oder asiatischen Musikstücken.“ Böse sagte man, dass nicht so viel passiere, doch die Musik wirke beruhigend, soghaft. Einige Zuhörer scheinen nach einer Klangprobe vom Band anderer Auffassung zu sein, doch als später das Konzert beginnt, kann man dieses vereinnahmende Moment der Musik spüren. Das Auditorium wirkt etwas entrückt, auch wenn John Adams so ganz minimalistisch auch wieder nicht ist. Doch das sich Wiederholende bleibt und damit auch die Neigung des Publikums, in eine Art „Mini-Trance“ zu fallen. Die dauert freilich nicht allzu lange, denn schon betritt Bettina Aust die Bühne und „unterhält“ sich mit dem Orchester. Man würde ja gerne die Augen schließen, wenn man diese Töne hört, doch dann sieht man eben den Bewegungsablauf der kleinen Klarinettistin nicht, die zwischendurch auch mal in die Hocke geht. Fast unwillkürlich fühlt man sich an den Rattenfänger von Hameln erinnert. Da kann man sich nur freuen, dass die Türen geschlossen sind und Bettina Aust auch keine Anstalten macht, die Zuhörer irgendwo hinzulocken. Kurz vor der Pause, nach ihrem Klarinettenkonzert, gibt Aust eine Zugabe, völlig allein, ganz ohne orchestrale Begleitung. Sie kündigt kurz Igor Strawinsky an, spielt ein paar Minuten, emotional, schnell, filigran – und führt zum zweiten Teil. Da hat sich das Orchestra Strawinskys Petruschka gewidmet, der Musik zu jenem Ballett, das auf einem Jahrmarkt in St. Petersburg spielt, in dem drei Puppen eines Gauklers zum Leben erwachen. Isumi Rögner erklärte vorher, dass Strawinsky durch die Wahl seiner Instrumente und Noten aus russischen Kinderbüchern Jahrmarktatmosphäre und folkloristische Elemente eingebaut habe. Die Bläser sind die Buden und Fahrgeschäfte, die Streicher die betrunkenen Besucher. Das setzt das Orchester einfach grandios um. Immer wieder bekommen die einzelnen Musiker Solopartien zu spielen, die Querflöte macht den Anfang, die Trompete, die Fagotte, die Tuba. Nachher hat man den dritten Satz so nachhaltig im Kopf, dass man ganz beschwingt das Theater verlässt.