Akiko Suwanai spielt herzzerreißend Violine, und diese Formulierung ist durchaus wörtlich gemeint. Die in Tokio geborene Streicherin ist eine von sieben in der Komposition „seven“ von Peter Eötvös. Dabei ist sie die einzige, die auf der Bühne steht. Die anderen sechs spielen bei schummrigem Licht in den oberen Rängen und kommunizieren mit Suwanai. Thema ist das Unglück der Columbia-Raumfähre, bei der alle sieben Astronauten starben. Gestern im Großen Haus unter musikalischer Leitung von Generalmusikdirektor Golo Berg: das 9. Sinfoniekonzert der laufenden Spielzeit.
Der Umgang mit Trauer und Verlust ist die Klammer des Abends. Neben Eötvös wird auch Bach gespielt, der in seiner Kantate „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ den Verlust des Glaubens zugunsten der „törichten Vernunft“ beklagt.. Dabei verstärken die Instrumente des Orchesters allein die Singstimmen. Gewiss schöne Musik und eine beträchtliche Leistung auch des Opernchores und der Gesangs-Solisten. Mir persönlich war das zu getragen, zu schwermütig. Berg erklärt jedoch in der vorherigen Einführung, ihn persönlich habe traurige Musik immer am meisten angesprochen und berührt. Die Einführungen ins Werk sind übrigens ein unterhaltsamer, informativer Teil des Abends. Gestern teilten sich Golo Berg und Musikdramaturg Ronny Schulz die Moderation. Als es um „seven“ von Peter Eötvös geht, den regelmäßige Opernbesucher durch „Angels in America“ kennen, kann sich Berg einen Kalauer nicht verkneifen: Bei den Proben habe man festgestellt, dass die Akustik auf der Bühne viel besser sei, leider habe man dort nicht genug Stühle für das Publikum. Die Musik von „seven“ – da bin ich mir sicher – wird sich kaum jemand auf Tonträgern anhören. Zu splitternd, zerreißend, metallen klingt sie. Aber dafür dürfte Eötvös die Komposition auch nicht geschrieben haben. Wer im Zuschauerraum sitzt und weiß, um was es geht, kann sich die verglühenden Wrackteile vorstellen, den schneller werdenden Herzschlag der Astronauten durch das fulminante Spiel von Akiko Suwanai, die auch schon 2007 in Luzern die Uraufführung spielte. Und dann eben dies Wechselspiel mit den sechs anderen Violinistinnen, die natürlich jeweils einen Astronauten verkörpern und mit Bedacht in den oberen Rängen stehen und spielen. So wirkt das alles noch viel mehr wie Weltraum. Auf der Bühne gibt es derweil eine große Dramatikabteilung, Schlagzeuger, die Autofedern Töne entlocken, berstendes, quietschendes Metall. Eine imposante Inszenierung, die ich so schnell nicht vergessen werde. Mein Respekt an alle Beteiligten, auch an das Orchester, das sich immer wieder beweist.
In der zweiten Konzerthälfte geht es dann um den Tschechen Josef Suk, dessen Sinfoniekonzert Nr. 2 c-Moll etwas in Vergessenheit geraten ist. „Die Entdeckung der letzten 10 Jahre“, sagt Golo Berg. Suk trauert darin um seinen Schwiegervater Antonin Dvorák und als er noch gar nicht ganz fertig ist mit der Komposition, stirbt auch noch seine Frau. Das ist vermutlich die Erklärung für ein überlanges Stück, das aber sehr schön geworden ist, auch durch Rückbezüge an vergangene schöne Zeiten wie Erinnerungssplitter. Mal spielt ein einzelnes Fagott und macht die Trauer deutlich, wie einsam, alleine verlassen. Schon setzt ein reichhaltig instrumentiertes Orchester ein, so viele Streicher, da wird man selbst ganz traurig.
Ein schöner Konzertabend in einem leider nur halb gefüllten Großen Haus. Dabei lohnt sich gerade dieses Konzert, mal anders, mal mutig.