Das Leben in Ludwigshorst

Schwarzen Kaffee gibt`s zur Begrüßung und Plätzchen. Der Reichsbürger, freundlich und zugewandt,  gibt den Menschen die Achtung, die sie verdienen. Natürlich erinnert die Veranstaltung nicht umsonst  an eine Kaffeefahrt, bei der Menschen irgendwo im Niemandsland aus dem Bus aussteigen und mit einem Koffer voller Rheumadecken zurückkehren. Nur sind es hier keine Rheumadecken. „Der Reichsbürger“ von Annalena und Konstatin Küspert wird zurzeit im U2 im Theater Münster gezeigt – eine Inszenierung von Julia Prechsl.

Der Reichsbürger –  Wilhelm Schlotterer – hat es sich auf seinem Canapé mit türkisfarbenen Samtbezug bequem gemacht. Er versucht, dem Auditorium das Bild eines in sich ruhenden, völlig überzeugten, über den Dingen stehenden Menschen zu vermitteln. Vor sich eine schwierige, aber lösbare Aufgabe. Er muss nur erst die Mauern aufbrechen, die die Menschen im Raum um sich und ihr Denken errichtet haben. Das – so seine Einschätzung – erfolgt am besten mit handfesten Fakten, die auch belegt werden können. Und schon holt der Reichsbürger aus dem durch zwei weiße Fransenvorhänge abgeteilten Gang hinter und seitlich der Bühne einen dicken Wälzer. „Amerikanisches Handelsregister“, erklärt er den Zuschauern, in dem die BRD als GmbH geführt werde, der Besatzungsstatus nach dem zweiten Weltkrieg sei ja nie offiziell beendet worden und die Präambel des Grundgesetzes einfach so verschwunden. „Ich frage Sie“, schon ist es vorbei mit der Beherrschung, denn der Reichsbürger schreit „Haben Sie jemals über eine Verfassung entschieden?“ Und dann flammt auch noch Erika Mustermann auf der Leinwand auf. „Personalausweis – Sie sind Personal der BRD GmbH – warum heißt es nicht Personenausweis?“ ereifert sich der Reichsbürger. Beim Thema Hundesteuer gibt’s dann noch die Haager Landkriegsordnung, die gelte und nach der die Erhebung jedenfalls illegal sei. „Granate“, schleudert der Reichsbürger nach jedem „wichtigen Punkt“ den Zuschauern entgegen.

Und können auf der Kaffeefahrt Rentner die flauschigen Rheumadecken befühlen, so darf das Publikum im U2 auch mitmachen, etwa ein paar Gesetzestexte lesen. „Granate“. Natürlich spürt der Reichsbürger, dass es noch an der „rechten“ Überzeugung fehlt. Deshalb gibt er ein praktisches Beispiel: „Sie wollen Ihr Kind einschulen und stellen fest, dass es das einzige deutschsprachige ist. Wie reagieren Sie? Melden Sie es nicht auch lieber da an, wo der Ausländeranteil geringer ist und die Bildungschancen größer? Wollen Sie nicht selbst entscheiden, welche Schule Ihr Kind besucht?“ Schon läuft der Reichsbürger skandierend durch den Fransengang: „Naturrecht, Freiheit, Autarkie“. Von dort ist es nicht mehr weit, dass der Reichsbürger sein eigenes Königreich „Ludwigshorst“ ausruft. Er verteilt Konfetti im Raum, auch an eine Dame in der ersten Reihe, die schließlich auf sein Kommando, nämlich gerade dann, als er seine lila Krone entfaltet, das Konfetti wirft. „Legen Sie Ihr Geld in Staatsanleihen an – in meine“, rät der Reichsbürger.

Eine grandiose schauspielerische Leistung von Wilhelm Schlotterer, der sich nicht nur Unmengen von Text draufschaffen musste, sondern auch Gefühlswallungen authentisch überbrachte, sich mal aufs Sofa stellte, mal legte und immer gerade im richtigen Moment im Fransengang verschwand oder wieder auftauchte, etwa als es gerade um die Vollverschleierung muslimischer Frauen ging. Und dann klebte ihm Konfetti am glänzenden, schweißnassen Kopf, ein leicht entrückter Blick – besser, wir stempeln Reichsbürger nicht nur als absonderliche, wirre Gestalten ab sondern sehen sie so wie sie sind: asozial.

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