Keuschheit und Vernunft kehren im Pumpenhaus ein

Der eine, Waffenschmied, die andere, Nonne, beten doch zum selben Gott, flehen um Erlösung. Doch ist Gott der himmlische Vater, die reine, unbefleckte Liebe?  Dass sich Mareike Fiege und Viktoria Mletzko ausgerechnet „Keuschheit und Vernunft“ von dem 2018 verstorbenen Autor Dirk Spelsberg für ihr Regiedebüt ausgesucht haben, zeugt schon von einer gehörigen Portion Mut. Gar nicht so sehr, weil im Zentrum sexuelle Gewalt des Klerus steht – das ist ja brandaktuell – doch der Bühnentext ist sperrig und für Zuschauer, die nicht im Thema stehen, nur schwer nachzuvollziehen. Gestern Abend war Premiere im Pumpenhaus.

Auf der rückwärtigen Leinwand flimmern Videosequenzen, die absichtlich unscharf gehalten sind. Ein Hirschhornkäfer in hochflorigem Teppich? Ein Mann mit nacktem Oberkörper und Geweih? Eine stark vergrößerte Gottesanbeterin, die ein Insekt zwischen ihre starken Zangenbeine geklemmt hat und genüsslich verspeist? Auch ein bisschen Fantasie gehört dazu. Jedenfalls unterstreichen die Filmsequenzen die emotionale Lage der beiden Protagonisten. Franziska, großartig gespielt von Eva-Lina Wenners, die immer wieder bruchstückhaft vom Kloster erzählt, von ungestillter Lust, sexueller Gewalt und dem Kreuz zwischen den Beinen, mit leuchtenden Augen ihren Gott sucht und den Racheengel fürchtet. Ähnlich geht es auch dem Waffenschmied Heinrich, Shaun Fitzpatrick, der seine Gebete, nein eher Schreie, an Gott richtet, an den einen, guten Gott, der Sünden vergibt und Halt gibt. Beide spielen intensiv und man nimmt ihnen ihre Suche und ihre gleichzeitige Angst ab. Immer wieder Franziska in ihrer Not. „Wie macht man ein Kind weg?“ Geweihtes Wasser kann ja nicht schaden. Und so steigt Franziska in die Badewanne und wird von Heinrich benetzt, beträufelt, überschüttet, gebadet.

Und plötzlich wird es laut, die Stirnseite in rote Farbe getaucht, sind wir in der Hölle? Der Abgesandte Gottes erscheint, freudig sein Tagwerk verrichtend, nicht gerade der gnädige Gott, den die Protagonisten erwartet haben. Jost op de Winkel macht seinen Job als Bruder Leichtfuß gut, kommt reingetänzelt, als sei alles nur ein Spiel, Gott als der Rächer.

Die Inszenierung lebt von der Lebendigkeit der Schauspieler, die sich unglaublich viel Text draufschaffen mussten. Respekt für die jungen Menschen. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass dieser enthusiastische Applaus, der insbesondere dem im Zuschauerraum anwesenden Cactus-Ensemble zu verdanken gewesen sein dürfte, in weiteren Vorstellungen Bestand haben wird. Dafür gibt es zu viele Fragmente, die nicht verknüpft erscheinen.

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