nur wer gelitten hat ist stark

Imposante Säulen, ein Kreuzgang, große bunte Kirchenfenster – in Windeseile wird aus Münsters Großem Haus ein Gotteshaus. In der Mitte ein Altar mit dem Celebrant, der der Heiligen Messe vorsteht und Unmengen von Menschen, Chöre, Musiker, Sänger, Tänzer. Gestern hat das Theater Münster aus dem vollen geschöpft bei Leonard Bernsteins Theaterstück „Mass“ unter Regie von Tom Ryser und musikalischer Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg.

Bei der vorherigen Einführung ins Werk erzählt Intendantin Katharina Kost-Tolmein, dass Bernsteins Stück 1971 zur Eröffnung des John F. Kennedy Centers in Washington D.C. uraufgeführt wurde. Es ist vielleicht das bewegendste Zeugnis des Komponisten, der mit aller Kraft eine Verbindung zwischen Kunst und Leben herzustellen versuchte. Eine Geschichte von Glauben und Zweifel, von Fragen, die unbeantwortet bleiben. Es reicht einfach nicht, nur zu beten, auch wenn der Celebrant, übrigens eindringlich und überzeugend von Samuel Schürmann verkörpert, als Antwort immer: „let us pray“ parat hat. Am Anfang lassen sich da noch alle versammeln, singen von Erbarmen und beichten in allen Sprachen, spanisch, türkisch, englisch, deutsch – junge Menschen, die Halt suchen. Und während einer singt: „I believe in God – who believes in me?“ formieren die Musiker sich neu. Die Hörner tauchen rechts auf, das tiefbrummende Fagott und die Querflöte spielen links, die Posaunen im Bühnenrücken. Nicht alle Musiker passen in den Orchestergraben, sogar die erste Reihe ist von einem Totenchor in Skelett-Verkleidung besetzt. Choräle, liturgische Wechselgesänge, Blues, Gospel, Jazz und Rock – was auf den ersten Blick wenig homogen erscheint, verschmilzt zu einer musikalischen Einheit. In nomini Patris, Gloria tibi, the word of the lord. Ob Solisten, Boys Choir des Paulinum, Sinfonieorchester oder Opernchor – alle sorgen für einen fulminanten Abend, der mich bewegt. Immer kritischer werden die Fragen und Zweifel. Dafür muss man die verschiedenen Sprachen nicht beherrschen. Irgendwann reicht „let us pray“ nicht mehr, auch dem Celebrant selber nicht mehr. Er ist wörtlich mit seinem Latein am Ende, zieht seine Gewänder aus und ist Mensch in Jeans und Turnschuhen. Zerbricht sein Glaube? Nein, es wirkt nicht so. Nur wer gelitten hat, ist stark.

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