Tumulte im Theater

Besorgte Bürger von Münster: Im Foyer des Theaters werden Handzettel verteilt, auf denen vor Überfremdung gewarnt wird. „Sie kommen in unser Land, sie nehmen uns billige Wohnungen weg und jetzt sind sie auch in unseren Theatern“. Was zunächst irritierend wirken mag, ist bewusste  Provokation. Denn gestern Abend war die Premiere von Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“, angereichert um  „Die Fremden“, eine Szene aus dem Arbeitsmanuskript für ein Theaterstück. Regisseur Stefan Otteni verdient sich wie das gesamte Ensemble Standing Ovations.

Die Handlung des Schauspiels ist auf drei Orte aufgeteilt, und das haben die Theaterleute einfach großartig gelöst: Eine riesige liegende Satellitenschüssel kreist über den hintern Teil der Bühne. In oder auf ihr fläzen sich Schauspieler, die gerade nicht aktiv sind oder eben manchmal doch – da ist der Übergang fließend. Bassanio ist in die schöne Portia in Belmont verliebt. Da ist er nicht die einzige, denn Portia hat neben ihrer Schönheit auch ein beträchtliches Vermögen zu bieten. Aber ach, damit Bassanio überhaupt um Portia werben kann, benötigt er dringend eine größere Summe Geld. Geld, das er nicht hat. So kommt er auf die Idee, sich die nötigen Mittel bei seinem Freund Antonio, dem Kaufmann von Venedig zu leihen. Der verleiht auch gerne – nur hat er zurzeit alles in Schiffstransporte in aller Welt investiert. So kommt man auf die Idee, den reichen Juden Shylock anzupumpen – immerhin gibt es ja Sicherheiten. Shylock jedoch ziert sich, ist er doch immer wieder von dem Christen Antonio beleidigt und bespuckt worden. Schließlich gibt er den Kredit doch – wie gewünscht auf drei Monate – , allerdings, für den Fall, dass nicht rechtzeitig zurückgezahlt wird, verlangt Shylock ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper. Leichtsinnig sagt Antonio zu.

Und dann beginnt die Brautwerbung um Portia. Die Jünglinge, allesamt von edlem Geblüt, müssen aus drei Kästchen das richtige herausfinden, das ihnen im besten Fall die Ehe verheißt, aber ebenso gut der „Zonk“ sein kann. Besonderes Lob für Iljas Harjes, der den Prinz von Hannover spielt. Mit leichtem Lispeln besteht er darauf, dass man gerade in Hannover gutes Hochdeutsch spreche und wirkt dabei doch insgesamt wie eine Karikatur mit Gesten, Kleidung und Oberlippenbart. Überhaupt sind die jungen Männer, die um die Gunst von Portia werben, allesamt überzeugend. Als der Prinz von Marokko dann längere Zeit auf arabisch spricht, kommt  es zum Eklat. Zuschauer beschweren sich, dass „wir doch in Deutschland sind und man doch bitte Deutsch sprechen möge“. Doch der Prinz lässt sich nicht irritieren, wechselt immer  wieder die Sprachen und verstärkt so das Fremde, fordert Gleichbehandlung ein. Andere  Zuschauer beginnen ebenfalls sich zu beschweren, Proteste aus verschiedenen Richtungen, es braut sich etwas zusammen, und einen Moment lang herrscht die Vorstufe des Chaos. Wutentbrannt verlässt ein Herr das Parkett. Langsam glätten sich die Wogen. Natürlich ist alles inszeniert, doch bereitwillig stimmten einzelne Theaterbesucher in die Kritik ein – wie schnell so etwas geht. Gerade noch ein scheinbar  ruhiger Theaterabend, dann ein Gewitter. Ein  Kompliment auch für Zainab Alsawah, die den Prinzen von Marokko in all der Theatralik einfach großartig spielt und auch später noch in der Rolle von Shylocks Tochter Jessica wunderschön singt. Jessica hat eine wichtige Bedeutung in dem Stück. Als Tochter eines Juden ist sie in einen Christen verliebt. Sie selbst zweifelt an, dass Shylock ihr Vater ist, der sie wiederum ständig in ihrem Zimmer einsperrt. Übrigens auch klasse: Jessicas Kinderzimmer wird nach Bedarf im Boden versenkt, sodass es bei Szenen in Belmont oder Venedig nicht stört. .Venedig war damals das Tor zur Welt, Hafen und Marktplatz, buntes Treiben und ungeschützte fleischliche Liebe, auch homosexuell – wie der Kaufmann von Venedig zeigt. Die Hochzeit der Syphilis. Das wird thematisiert, indem ein Teil der Männer silberfarbene Paillettenkleider trägt, die Haare hochtoupiert. Zwischen all dem wird die Liebe zerrieben, – mit Überzeugung, Empathie und den richtigen Barometer für richtig und falsch sehr schön von Carola von Seckendorff gelebt.

Es kommt wie es kommen muss: Antonio verliert seinen Reichtum, weil die Schiffe sinken oder gekapert werden. Nun geht`s ans Fleisch – ein Pfund aus der Herzgegend . Gibt es nicht Gnade? Kein Mitleid? Da kann auch die Liebe nichts mehr machen. Über allem hängt „der Leichnam Christi“, ein Bild von Hans Holbein. Es zeigt den ausgemergelten, gequälten Körper, lang ausgestreckt auf einem Leichentuch in einer Felsnische.

Ein berührender Theaterabend, der aber immer wieder auch Raum für die komischen Momente bereithielt, Sandra Bezler in der Rolle von Portia, die stets versucht, ihr unliebsame Freier schnell wieder loszuwerden, Garry Fischmann als Prinz aus Kasachstan, der seine Fellmütze mehr liebt als eben jene Portia. Und natürlich auch Christian Bo Salle als Antonio im Kleid, Bálint Tóth als Bassanio und in weiteren kleinen Rollen – ein sehr gutes Ensemble. Vielen Dank.

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