vom Publikum, das mit dem jungen Werther leidet

An der Wäscheleine hängen Liebesbriefe an Lotte, auf die das schmerzverzerrte Gesicht von Werher projiziert wird, mit Tränen nicht nur im Augenwinkel. Die Achterbahnfahrt auf dem Send kann er ebenso wenig genießen wie die Fahrt im Auto-Scooter. Fast vier Monate läuft jetzt schon im U2 das Schauspiel „die Leiden des jungen Werther“ nach einem Briefroman von Goethe. Regisseur Gregor Turecek hat sich einen kleinen Trick einfallen lassen, um noch mehr Intimität zu erzeugen: Er hat als Rückzugsort für den jungen Werther ein Zelt auf der Bühne aufgebaut Zwar irgendwie getrennt von der Umwelt und trotzdem immer mitten drin.

40 Stunden die Woche abhängige Beschäftigung, das kann nicht lebenswert sein, ist sich Werther sicher. Deshalb zieht er hinaus in die Welt und baut sein Zelt auf, wo es passt. Zwei Campingstühle, einen Gaskocher auf gestapelten Büchern, ein paar Konservendosen. was braucht`s schon mehr, um glücklich zu sein? Vielleicht eine Frau, die er in Lotte kennenlernt. Lotte, die sich so fürsorglich und liebevoll um ihre Geschwister kümmert, weil die Mutter gestorben ist. Jedem Kind schneidet sie ein Stück Brot ab, alle unterschiedlich, je nach Hunger und Bedarf. Lotte mit dem stetigen Lächeln. Ab jetzt will Werther sie jeden Tag wiedersehen und sie ihn auch. Wie zwei Fohlen laufen sie herum, ausgelassen, unbekümmert, lebensfroh. Bis Lotte Werther erzählt, dass sie ihrer Mutter noch auf deren Sterbebett versprochen habe, Albert zu heiraten. Dann beginnen Werthers Leiden. Und Bálint Tóth verleiht in dieser Rolle den Leiden echte Substanz. Hin- und hergerissen zwischen Nähe und Distanz lernt er schließlich Albert kennen. Er scherzt und ist aufmerksam, freundlich und zugewandt, nur um die Nähe von Lotte zu erleben. Gleichzeitig muss er mit ansehen, wie Lotte ihren Albert herzt und küsst, wie sie ihm nah ist und vorgibt, Werther nur als Bruder anzusehen. Werther  quält sich selbst indem er immer neue flammende Liebesbriefe schreibt, von denen Lotte mit Kloß im Hals einen vorliest. Kaum jemand in dem kleinen Saal kann sich dem Orkan der Emotionen verschließen. So nimmt es auch nicht Wunder, dass selbst im Auditorium Tränen fließen. Und Werther weiß nicht wohin mit seiner Eifersucht und Wut und Leidenschaft. In der Fantasie hat er Albert längst erschossen und Lotte geheiratet. In seiner Hilflosigkeit aber vergeht er sich gar an Lotte und prügelt sich mit Albert. Das alles in dieser wunderbaren Sprache, die klingt wie Musik und eben gar nicht aufgesetzt. Das Ende ist programmiert.

Neben Bálint Tóth als Werther können auch Andrea Spicher als Lotte und Christoph Rinke als Albert überzeugen. Ein bewegendes, mitreißendes Schauspiel, bei dem Videotechnik so zart mit der Sprache aus dem 18. Jahrhundert verquickt wird. Nicht umsonst sind die Vorstellungen stets ausverkauft.

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