Vorsicht zerbrechlich ! startet mit dem Theatermacher

  • Jede Menge Feuerlöscher auf der Bühne, Flucht-, Löschpläne und beleuchtete Notausgänge. Das Schauspiel Dortmund hat 2015 einen Millionenbetrag erhalten und musste diesen zweckgebunden in Feuerschutzeinrichtungen anstatt in Schauspielequipment investieren. Doch der eigentliche Grund, weshalb Regisseur Kay Voges die „Feueraccsessoires“ in den Blickpunkt rückt, ist die Sorge des Staatsschauspielers Bruscon, der Feuerwehrhauptmann könne seine ganze Komödie ruinieren, indem er vollständige Dunkelheit zum Ende des Stückes nicht zulasse. Mit Thomas Bernhards „Theatermacher“ vom Schauspiel Dortmund beginnt das NRW-Theatertreffen fulminant.
  • Ausgerechnet im abgelegenen Dörfchen Utzbach mit 280 Einwohnern soll der grandiose Staatsschauspieler Bruscon seine Komödie „das Rad der Geschichte“ aufführen, in einem alten, modrigen Gasthaus. Andreas Beck als Bruscon macht das so überzeugend, wie er da steht oder sitzt und lamentiert über seine talentfreien erwachsenen Kinder, die auch mitspielen, über die Einöde und über Schauspielerinnen im allgemeinen und seine Frau im besonderen „der Hemmschuh der Schauspielerei“. Im Hintergrund steht mit Schürze und Pudelfrisur der arme Wirt (klasse Uwe Rohbeck), der auf Fingerschnippen ständig den Namen „Utzbach“ einwirft, weil es schlicht unter Bruscons Würde ist, sich so einen Namen auch noch zu merken. Sohn und Tochter lässt Bruscon rezitieren „Das Gewesene ist es. Das fortwährend Gewesene“. Doch tatsächlich klingt das so grauenhaft, dass Bruscon die Textpassagen kürzt. Zu allem Unglück hat sein Sohn noch einen eingegipsten Arm, der aus einem Sturz in einer früheren Vorstellung resultiert. Seine Frau hört man eigentlich nur husten und Bruscon beschwert sich, dass sie ihren Text ständig vergisst. Und dann halt die Sache mit dem Notlicht. Unter keinen Umständen darf zum Ende des Stückes das Notlicht leuchten, 5 Minuten lang ist unbedingt vollständige Dunkelheit zu garantieren. Deshalb spielt der Feuerwehrhauptmann eine Hauptrolle, ohne jemals in Erscheinung zu treten.
  • Und dann plötzlich schlüpfen die Schauspieler in die jeweils andere Rolle, Bruscon trägt Schürze und Pudelfrisur, der Wirt mit schütterem Haar und im karierten Anzug erklärt allen, dass und wovon er so genervt ist. Diese Metamorphose ist toll gemacht. War der Wirt eben noch ein kleines, unscheinbares Männchen im Hintergrund, das kaum mehr als „Utzbach“ stammeln konnte, ist er nun der Mann von Welt, der schon in seiner ganzen Körpersprache zum Ausdruck bringt, dass ohne ihn eh alles verloren ist. Trotzdem hat er einen Sprachfehler, verwechselt p und b, was aber relativ gesehen gar nicht so schlimm ist. Denn der neue Wirt kann kein F sprechen wie bei Familie. So sind die Gespräche zwischen Staatsschauspieler und Wirt schon ganz besonders. Und dann gibt es drei Wirte mit Pudelfrisur, Schürze und karierter Hose, weil auch Mutter (Janine Kreß) und Tochter (Alexandra Sinelnikova) die Rolle wechseln, aus Sohn Ferruccio (Christian Freund) wird Staatsschauspieler Bruscan, der die Angelegenheit auf die ihm eigene Art vorträgt, nämlich als Liedgut im Operettenstil oder osteuropäischen Chanson. Schließlich klettert das Töchterchen über die ersten 4 Stuhlreihen, lautgröhlend mit einer Lederjacke mit der Aufschrift „Fick deinen Vater“ und Klebestreifen auf den Brustwarzen. Zwischendurch kann man kurz den Eindruck haben, dass es etwas langatmig wird, doch urplötzlich kommt unglaublich viel Dynamik auf die Bühne. Ein energiegeladener, witziger Start des NRW-Theatertreffens.

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