Mit einer Mahagonikiste auf den Armen springt Alexander Selkirk aus dem Beiboot auf die Insel. Er ruft dem Bootsmann noch nach, dass er es sich anders überlegt habe, doch da ist es schon zu spät. So beginnt „der wahre Robinson“ von Freuynde und Gaesdte. Was Helge Salnikau in der Rolle des Schiffbrüchigen in der folgenden guten Stunde zeigt, ist enorm und fordert vom Schauspieler und auch von den Zuschauern Standhaftigkeit und Trotz der Naturgewalten.
Aber zunächst muss das Auditorium seine Plätze einnehmen. Das ist gar nicht so leicht. Die Zuschauer nutzen dafür Tretboote. Eine ganze Armada ist unterwegs zur Insel – einer Plattform vis-á-vis des Jugendgästehauses auf dem Aasee. Von drei Seiten machen die Boote um die Insel fest, auch Dramaturgin Anke Winterhoff und Regisseur und Texter Zeha Schröder. Um kurz nach acht stellt Selkirk die Kiste auf den Boden und zählt den Inhalt auf: Kleidung, ein paar Werkzeuge, nautische Bücher, the holy bible. Selkirk berichtet wie er hier hinkam, dass der Großteil der Schiffsbesatzung ertrunken sei, wie er sich eingerichtet habe in seinem kargen Leben, wie sehr er Fisch hasst und wie schmackhaft im Gegensatz Langusten seien, dass er sich eine Hütte baute, nicht weil er sie brauchte, sondern damit er eine Aufgabe hatte. Und noch eine Aufgabe und noch eine Hütte. Salnikau als Selkirk erzählt nicht nur. Er bespielt die ganze, riesige Bühne, auf der ansonsten nur ein Baum steht. Später, als die Spanier kamen, sollte dieser Baum noch seine Rettung sein. Natürlich ist die Einsamkeit das größte Problem, neben den Ratten, die ihm schon mal an den Zehen nagen. Zwei mal am Tag – morgens und abends – hält Selkirk Gottesdienst. Das sei der schönste Teil des Tages gewesen, obwohl er kein sonderlich gläubiger Mensch sei. Und dann kommt der Regen und der Wind und die Zuschauer holen ihre Regensachen heraus – sofern sie welche dabei haben. Ein einzelner Regenschirm wird aufgespannt. Wenig später hat Selkirk die Erscheinung seiner Rettung. Sind da Segel? Ein Bug? Das wächst sich zur fixen Idee aus. Selkirk läuft Richtung Horizont, über ein Tretboot und springt in den Aasee, kämpft mit sich selbst und klettert mühsam und tropfendnass wieder an Land – nichts, kein Boot, keine Rettung, weiter Langusten und Ziegen, die er entdeckt hat. Am Anfang schießt er noch auf sie, um sie zu erlegen, doch das Pulver geht zur Neige. So entwickelt er ungeahnte Schnelligkeit, fängt sie mit den Händen und sticht ihnen in den Hals mit einem Messer, das er aus einem Fassring selbst geschmiedet hat. Und dann kommen die Spanier. Warum nur Spanier? Selkirk ist im Training durch das Ziegenjagen und rettet sich auf seinen Baum. Als dann nach 4 Jahren, 4 Monaten und 4 Tagen am 02. Februar 1709 tatsächlich die Briten kommen, hat Selkirk Mühe, sich verständig zu machen – so lange kein Wort mit irgendjemandem. Als Selkirk – wieder aus den Ziegenfallen gepellt und in ziviler Kleidung – schließlich in die Abendsonne rudert, betritt Regisseur Zeha Schröder noch einmal die Inselbühne. „Das war die 21. Aufführung und irgendwo unter Ihnen befindet sich der 1500. Zuschauer. Damit ist das das erfolgreichste Einpersonenstück von Freuynde und Gaesdte.“ Es ist einfach auch alles stimmig. Eine spannende, gut recherchierte Geschichte und eine grandiose schauspielerische Leistung. Helge Salnikau spielt alles so authentisch, man nimmt ihm seine Verzweiflung, seine Einsamkeit, seine Sprachfindungsschwierigkeiten sofort ab. Dazu kommt die ungeheure Textdichte, die Salnikau ohne Aussetzer rezitieren konnte sowie die Omnipräsenz auf der Bühne, auf dem Baum, am Rand, im Wasser. Da hört sogar der Regen auf.