Zur Halbzeit des NRW-Theatertreffens ist endlich die Landeshauptstadt zu Gast, genauer das Düsseldorfer Schauspielhaus. Und dann noch mit einem Klassiker, Heinrich von Kleists „der zerbrochene Krug“. Man war weise genug, für die Inszenierung von Laura Linnenbaum das Große Haus zu wählen. Denn erstens ist das Stück natürlich sehr bekannt und zweitens entfalten die Schauspieler*innen dieses Ensembles auch eine Wirkung bis in den hintersten Rang.
Dabei ist Dorfrichter Adam eine dankbare Rolle, jener Richter, der seinen eigenen Fall verhandeln muss, mit schweren Kopfverletzungen und Kratzspuren auf der Brust. Eigentlich geht es ja nur um einen Krug, der in Evchens Zimmer in Scheiben zerborsten ist. War es der Bräutigam, wie Evchens Mutter meint oder gar ein dritter, gänzlich Unbekannter? Schnell weiß das Publikum, dass nur der Dorfrichter selbst der Übeltäter gewesen sein kann. Alle anderen, die dem Prozess um den Krug beiwohnen, rätseln indes noch. Und wie Andreas Grothgar als Dorfrichter versucht, jeglichen Schimmer des Verdachts von sich abzulenken, ist schon ganz besonders. Witzig und energisch, immer wenn ein anderer ins Spiel kommt, erhärtet er gleich diesen Verdacht, um jenen zu entkräften, strickt freundliche, familiäre Bande oder verkehrt sie ins Gegenteil, wird aufbrausend, kommt drohend näher, entfernt sich widerwillig und will nichts lieber, als diesen Fall möglichst schnell beenden. Doch es wird immer enger für ihn, denn leider ist auch der Herr Gerichtsrat aus Utrecht angereist. Und der drängt auf Aufklärung, da kann Adam noch so sehr versuchen, ihn mit viel Wein und Käse abzulenken. Und dann ist da noch der Schreiber, der nichts lieber als selbst Dorfrichter werden will. Ganz ruhig und eingeschüchtert ist Evchen selbst, sie fällt kaum auf. Bis sie sich doch endlich entscheidet, eine Aussage zu machen. Dann hört sie nicht mehr auf, alles sprudelt aus ihr heraus, sie beschuldigt den Dorfrichter Adam wieder und wieder. Cenner Rüya Voss macht das grandios, da steht Schweiß auf ihrer Stirn, doch sie lässt sich nicht bremsen, spricht in dieser wunderbaren Sprache flüssig und enthemmt, schildert, dass es eben nicht nur um einen zerbrochenen Krug ging, sondern um viel mehr, um Urkundenfälschung, Betrug, Nötigung, Vergewaltigung, schildert die Situation, wie Adam aus dem Fenster geflüchtet ist, seine staatsmännische Perücke im Dornengestrüpp verloren hat und Evchens Bräutigam, ganz außer sich vor Wut, ins Zimmer stürzte und den Dorfrichter gehörig verprügelte. Und doch mögen die Protagonisten Evchen nicht so recht glauben, schließlich hat der Bräutigam gar nicht erkannt, wen er da ordentlich vertrimmte. Und handelt es sich beim Dorfrichter nicht um eine Respektperson, die über jeden Zweifel erhaben ist? Die Menschen in der Gerichtsstube sind argwöhnisch. Übrigens gibt es hier „im Amt“ neben einem Kühlschrank nur eine Leiter, die dem Richter als Stuhl dient. Vor dem Hintergrund der Me-too-Debatte erfährt dies über 200 Jahre alte Stück eine Renaissance, wenn man das einmal so formulieren darf. Und konnte man denken, dass sich die Sache in ein paar Zweifeln erschöpft, wird das alles noch auf die Spitze getrieben. Ungeheuerlich ist, dass sich selbst der Gerichtsrat an Evchen vergeht und der eigene Bräutigam zusieht. Dabei ist sie in die Situation nur geraten, weil sie ihrem Bräutigam hat helfen wollen.
Eine schöne Inszenierung, die nicht allein Lustspiel ist, sondern auch zum nachdenken anregt.