Wenn Schiffskaplan Shallow Braun, übrigens der einzige, der segeln kann, mit lautem Stöhnen erwacht und halluzinierend die Takelage erklimmt, liegt das vielleicht an verfluchtem Rum an Bord der krummen Muskete, eines formidablen Piratenschiffs. Was die Vergnügungsmaklerin Tintenfisch-Molly mit der Sache zu tun hat, wird später klar. Gestern nahm die Theaterproduktion „Freuynde & Gaesdte“ das Publikum im blauen Haus mit auf eine irre, bunte, weite Reise vorbei am Tanga Dreieck zur Isla Matrazza mit dem Stück „Capt. Milchbeard – Freibeuter der Akribik“.
Ziel des Segelturns unter Piratenflagge ist ein Schatz. Vorher braucht es aber erstmal eine Schatzkarte, die sich dem Vernehmen nach an ungewöhnlicher Stelle befindet. Bevor die Crew nun aber Backbord abdreht oder das andere Backbord wählt, zeigt sich die ganze Klasse von Zeha Schröder in der Rolle vom Zahlmeister Short Olaf, der im ersten Leben Börsenmakler war. Denn einzelne Zuschauer kommen zu spät und stehen mitten auf der Spielfläche. „“Zu viele Ratten an Bord“, schnaubt er verächtlich und wirkt in seinem Text völlig unbeirrt fort. Freibeuterkapitän Benschemmin Milchbeard (Helge Selnikau macht in dieser Rolle und zahlreichen anderen einen überzeugenden, witzigen, energischen Eindruck), Schiffsarzt Doc Wheeler mit Papagei auf der rechten Schulter (Johann Schüling) und der ehemalige Börsenmakler sind sich nicht so recht einig, wo es lang gehen soll. Schließlich einigt am sich doch und segelt Richtung Isla Matrazza, wo die Vergnügungsmaklerin Tintenfisch-Molly (Anke Winterhoff) lebt. So lange Reisen erfordern natürlich das richtige Liedgut, was die drei hervorragend intonieren, begleitet von Zeha Schröder mit der Handharmonika. Immer wieder gibt es Zwischenapplaus, auch für die Klettereinlagen in der Takellage und die Gefechte mit dem Säbel. Besonders authentisch ist der Angriff auf ein spanisches Schiff, dem tatsächlich schwarze Kanonenkugeln entgegenfliegen. Da muss auch J.M.E. de Castillos Saavedra Gran Canarias y Glesias klein beigeben. Seine 24 geretteten Matrosen werden gefoltert, in dem sie die letzten 48 Weinflaschen auf ex trinken müssen. Als die Crew tatsächlich Isla Matrazza erreicht, werden weitere Geheimnisse bekannt.
Eine tolle, (wort)witzige und leidenschaftliche Inszenierung, schauspielerisch gut besetzt. Jeder spielt gleich mehrere Rollen, selbst Anke Winterhoff, die erst im letzten Drittel mitwirkt, ist auch noch als Admiral Wu-Han zu erleben. Man kann den Eindruck haben, dass die musikalischen Beiträge etwas sehr gedehnt sind, aber das hat maßgeblich die Atmosphäre bestimmt. Man fühlte sich wie auf einem Schiff, man spürte das Schwanken und hörte das Knarzen der Seile, ein bisschen Gischt. Und schon ist man in Isla Matrazza.