Ich bin Jutta, Deine Mutter

Aus zwei großen, zusammen geschobenen, mit Leinwand bespannten Holzwinkeln kämpfen sich mühsam durch Pappkartons 8 Mädchen hervor. Alle tragen grau-silbrige Kleidungsstücke, Blousons, Kleider, Leggins, Schuhe. Das passt zur Stimmung. Alles ist irgendwie grau. Die Mädchen hadern mit ihrer Erinnerung, die nicht so recht funktioniert. Glaubt man den Müttern, allesamt in Rot-, Purpur- und Violett gehüllt, liegt das am Trinkwasser, das ausschließlich Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren die Erinnerung nimmt. Es ist schon recht skurril, wenn die Rollen vertauscht werden, wenn die Alten sich erinnern, während die Jungen dement werden. Es zwingt nicht nur die Schauspielerinnen in Rollen, sondern auch das Publikum zum umdenken. Das kommt eben dabei heraus, wenn Cactus Junges Theater mit dem Theaterkollektiv art und weise zusammenarbeitet. Das Regieteam J.Suermann und L. Bullerjan hat  gemeinsam mit der Dramaturgin S. Giese eine Inszenierung entwickelt, die trotz des düsteren Stoffes immer wieder zum schmunzeln anregt. Natürlich liegt das auch an dem wunderbaren Ensemble, das im Pumpenhaus mit Ernst, Spielfreude und eben auch Leichtigkeit überzeugt. Da ist das Mädchen, dass Angst hat, seine verstorbene Mutter zu vergessen, ihren Geruch, ihre Gesten, ihre Liebe. Da ist, einen Schritt weiter, das Mädchen, das die Frau nicht erkennt „Ich bin Jutta, Deine Mutter“ oder auch das Mädchen, das in ihrer Mutter nur noch eine Spielkameradin aus dem früheren Kindergarten sieht. Mehr als „verstecken spielen“ geht da nicht. Und die Mütter scheinen zusehends juveniler zu werden. Immer wieder werden die großen Leinwandwinkel für Projektionen verwendet, sogar der Standort des Waschbeckens muss erläutert werden: „Nein, das ist der Schrank“, schließlich zeigen die Mütter in Filmsequenzen, wie man aufsteht oder sich die Zähne putzt. Das zerrt natürlich an den Nerven. Wenn der Tochter wieder und wieder die Einzelheiten des Frühstückstisches erläutert werden müssen „Brot, Tasse, Aprikose“, „Brot, Tasse, Aprikose“. Manch einer mag auch froh sein, sich nicht zu erinnern. Schade nur, dass das selten so selektiv erfolgt – wenn vergessen, dann alles vergessen.  Es ist immer wieder schön, Cactus Junges Theater zu erleben. Die Kooperation mit dem theaterkollektiv art und weise ist gewagt – denn das sind schon zwei Welten. Das Projekt ist jedoch gelungen, das zeigt auch der enthusiastische Beifall in ausverkauftem Haus. Bis nächsten Mittwoch, jeweils ab 20.00 Uhr, wird das Stück „Vom Schwinden“ wiederholt.

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