Während draußen gefühlt 30 Grad herrschen, tobt auf der Bühne ein Schneesturm. Zum letzten mal präsentierte das Theater Münster gestern Abend Händels Oper Alcina mit großartigen Musikern, tollen Arien und jeder Menge Emotionen. Kein Wunder, dass das Großen Haus bis auf ein paar Restplätze im 3.Rang ausverkauft war.
Opernregisseur Sebastian Ritschel hat den Ort der Handlung weit in den Norden verlegt, davon zeugt schon der riesige Eisbär, der in Alcinas Reich an der rückwärtigen Wand klebt. Bradamente, verkleidet als ihr Bruder, und ihr Erzieher Melisso kämpfen sich durch den Schnee und gelangen schließlich zum Schloss der Zauberin Alcina. Hierhin hat es Bradamentes Verlobten Ruggiero verschlagen. Nur durch einen Zauber ist Ruggiero unsterblich in Alcina verliebt und kann sich nicht mehr an sein früheres Leben und Bradamente erinnern. Alcina ist dabei ein echter Hingucker, und zwar nicht nur weil Henrike Jacob per se unglaublich eindrucksvoll ist – dazu muss sie nicht einmal singen, sondern vor allem, weil fast durchgängig ein Geschwader von jungen Männern um sich herum ist, mit knappem Slip und schweren Pelzmänteln, mit Stiefeln und Augenringen, die sich mechanisch bewegen und zwischendurch „einfrieren“. Diese Armada verkörpert die Liebhaber der Zauberin. Manchmal vergnügt sie sich auch mit ihnen. Doch ihr Herz schlägt eben für jenen verzauberten Ruggiero. Die ganze Angelegenheit wird dadurch erschwert, dass Alcinas Schwester Morgana sich in die als Mann verkleidete Bradamente verliebt, was wiederum deren Verlobten eifersüchtig macht. Reichlich Stoff also für Verwicklungen und Eifersuchtsszenen. Kurz vor der Pause setzt die Sprinkleranlage auf der Bühne ein. Erst sind es nur einige wenige Tropfen und die Zuschauer mögen sich fragen, ob der nasse Fleck zuvor schon auf Alcinas Kleid war, die gerade vor Kummer auf den Boden gleitet und dabei so flehentlich schön singt. Doch es werden mehr und mehr Tropfen bis das Kleid komplett glänzt und Alcina – emotional ausgehöhlt – daniederliegt. Vorhang.
Und wer jetzt schon mit dem Zenit gerechnet hat, erlebt eine Zauberin, die mit Axt in der Hand auf Rache sinnt. Da fliegt dann schon mal die Blumenvase samt Inhalt vom Tisch. Nach der Pause dreht das Ensemble noch mal richtig auf. Selbst Opernmuffel dürften sich der Dramatik kaum entziehen können. Als Bradamente mit Ruggiero die Flucht gelingt, bleibt ein Schlachtfeld übrig, mit zuckenden Leibern. Eine grandiose Aufführung, die zurecht auch 5 Monate nach der Premiere noch Standing ovations erhält.