20 Jahre Kulturhund – ein Abschied mit Brahms und Martucci

Manche Menschen begleiten einen lange, andere weniger lang. Manch ein Hund wächst einem ans Herz wie ein Mensch. Ich habe nie vergessen, dass Moritz ein Hund war und eben kein Mensch. Und doch hat er 20 Jahre bei und mit mir gelebt – und bei meiner guten Freundin Anna Oestreich. Heute, da Anna und ich die Entscheidung treffen mussten, ihn zu erlösen und nicht noch durch ein paar unsinnige Vitaminspritzen einige Tage aufzupäppeln, hatten wir Karten für das 9.Sinfoniekonzert im Theater. Ein Abgang  wie Moritz ihn geliebt hätte. Ich habe den Hund zu unzähligen Konzerten mitgenommen, zu Ausstellungen und Lesungen, zu poetry slams und in diverse Theater. Er begleitete Anna, die  Feuershows und Auftritte auf Stelzen in fabelhaften Kostümen als Elfe, Meerjungfrau oder Wesen von einem anderen Stern hatte. Moritz, auch wenn es anders gemeint war: die Konzertpassagen mit Wehmut und Trauer gehören Dir.

Schon bei der Uraufführung in Hannover war die Resonanz des Publikums recht reserviert, ein paar Tage später, in Leipzigs Gewandhaus, fiel das erste Konzert für Klavier und Orchester von Johannes Brahms komplett durch. „Das lag daran, dass Brahms verliebt war“, erklärt Dr. Jens Ponath bei der Einführung ins Werk im Theatertreff. Das Klavierkonzert ist also nach damaligen Maßstäben nicht perfekt und damit heute vielleicht gerade besonders reizvoll. Denn es sind ja die Emotionen, die man hören will. Solist am Klavier ist Alexander Lonquich,  normalerweise auf allen namhaften Bühnen der Welt zu Hause. Lonquich scheint mit seinem Spiel in einer anderen Welt. Davon zeugt auch seine Gestik und Mimik, mal legt er den Kopf in den Nacken, dann fällt der urplötzlich nach vorn. Er schließt die Augen und spielt blind. Das ist aber nicht nur optisch ein Genuss, sondern einfach fantastisch gespielt. Wir haben uns daran gewöhnt, dass ein wie immer brillanter Fabrizio Ventura währenddessen das Sinfonieorchester dirigiert – doch seine Zeit neigt sich langsam dem Ende zu. Nur noch ein Sinfoniekonzert wird er dirigieren. Orchester und Solist harmonieren derweil sagenhaft, als hätten sie schon immer miteinander gespielt – das Sehnsüchtige, Drängende, Erotische, Erfüllende, Orgastische, das die Musiker.im Wechsel erzeugen,  Dann wird es fast ein wenig sakral und schwermütig. Ist aus der Verliebtheit schon Liebe geworden, die heilig ist? Bekanntermaßen schlug das Herz von Brahms ja für Clara Schumann, die nicht nur 14 Jahre älter, sondern auch mit Robert Schumann verheiratet war.

Der zweite Teil mit Giuseppe Martucci fügt sich dann leider auch ein. Die Besucher werden eingelullt, nur manchmal durch das Schwarmartige der Streicher kurzzeitig geweckt. Insgesamt bleibt Martucci doch ein wenig blass. Wer das Konzert noch erleben will, hat am 14.oder 18. Juni im Großen Haus dazu die Möglichkeit. Man kann aber auch am 03.Juli WDR 3 hören, denn der Sender hat das Konzert heute aufgenommen und wird es dann übertragen.

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