Anna Karenina in Münster

Die Liebe ist kälter als Russland. Den Schriftzug auf dem Theatervorhang kann man durch den Faltenwurf kaum erkennen, als Gutsbesitzer Levin etwas unbeholfen mit Blümchen in der Hand verzweifelt den Ausgang sucht. Levin bemüht sich um die Gunst von Kitty, die allerdings selbst in Rittmeister Wronski verliebt ist. Der wiederum hat aber nur Augen für die ältere und reifere Anna Karenina. Gestern war Premiere von Anna Karenina im Kleinen Haus in einer Inszenierung von Max Claessen.

Natürlich kennt das Auditorium die Geschichte um die Ehefrau des Russen Alexej Karenin, die im 19. Jahrhundert im fernen Moskau spielt. Armin Patras hat sich in der Theaterfassung den Roman von Leo Tolstoi vorgenommen. Das Drama um Ehe und Moral der adeligen Gesellschaft. Wer allerdings eine klassische Umsetzung erwartet hat, wurde enttäuscht.

Alexej Karenin ist nicht nur Gatte von Anna Karenina, sondern auch Minister. Als die ersten Gerüchte von der Liaison seiner Frau mit Rittmeister Wroski auftauchen, bittet Karenin Anna, die Sache zu beenden, zu hinderlich sei die Liebelei auch für seine Karriere. Er befürchtet, mit einem Orden versehen aufs gesellschaftliche Abstellgleis geschoben zu werden. Daniel Fries als Alexej Karenin macht eine tolle Figur, leidend, emotional ohne große Ausbrüche, immer etwas gedrückt. Später spielt er sogar den gemeinsamen, neunjährigen Sohn Serjoscha, knieend mit aufgekrempelten Ärmeln im sehnsüchtigen Gespräch mit seiner Mutter Anna.

Auf der Bühne herrscht immer ein bisschen Trubel, Angestellte in Schürzchen oder Livreé drehen Häuserfassaden um sich selbst. Trubel auch durch alle anderen Figuren, die eigene Probleme haben. Manchmal wünscht man sich mehr Ruhe, Ruhe, die später eintritt, als das Ehepaar Karenin getrennt ist und Anna sich mit Wronski in Italien aufhält. Da ist Anna Karenina dann nur noch als Videosequenz auf einem großen Vorhang zu sehen. Das ist allerdings klasse gemacht und Sandra Schreiber zeigt als Anna Karenina ihr ganzes Können, große Augen, fließende Tränen, leidende Mimik, Einsamkeit, die umso größer wirkt, als vorher so ein Durcheinander war. Mal im Gespräch mit Rittmeister Wronski (Jonas Riemer), der auf dem Pferd hereingeschoben wird, seine militärische Karriere beenden muss und stattdessen zu malen beginnt, mal im imaginären Gespräch mit ihrem Sohn. Anna sieht die Liebe schwinden. Was bleibt ist Verzweiflung.

Insgesamt halte ich diese Inszenierung für nicht besonders gelungen. Manchmal sind Versuche, moderne Wendungen einzubauen, einfach albern. Gerade zu Anfang wirkt das Ganze auch wie Slapstick. Dem großen Roman von Tolstoi wird die Inszenierung nicht gerecht – nach meiner Auffassung.

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