Cello gegen Depressionen

Beethoven – wer sonst sollte im Mittelpunkt stehen bei den diesjährigen Sinfoniekonzerten? Kaum jemand sonst hat die Kulturgeschichte so geprägt wie er. Wer danach komponierte, nahm ihn als Vorbild oder setzte sich zumindest mit ihm auseinander, auch Golo Berg erinnert sich an sein Musikstudium und die späte Einsicht in die Genialität des Komponisten, dessen Geburtstag 250 Jahre her ist. Gestern Abend im Großen Haus spielte das Sinfonieorchester und Leitung des Generalmusikdirektors zum ersten mal das vierte Sinfoniekonzert.

Bevor Ludwig van Beethovens siebte Sinfonie erklingt, jenes großartige Musikstück, das so voll, so komplex, so langsam und schnell, so dicht und einzigartig ist, gibt es einen anderen, der sich der Sinfonie angenommen hat. John Corigliano, Amerikaner mit italienischen Wurzeln, bastelte aus dem zweiten Satz der 7. Sinfonie die „Fantasia on an ostinato“. Corigliano hat das Motiv in unterschiedliche Bestandteile zerlegt, sodass Klang und Rhythmus zwar wieder erkennbar sind, jedoch immer neu und unerwartet. Mit einem kleinen „Kreischer“ beginnt es, es entwickeln sich schöne Melodien, doch schon beginnen Pauke, Tuba und Posaune dunkel zu marschieren, auf dass einem angst und bange werden kann. Immer wieder fällt mir auf, dass man ein solches Konzert nicht mit einem Datenträger kompensieren kann. Zu schön sind die Wechselspiele, ist das Gespräch zwischen den Instrumenten, sind ganz eigene optische und akustische Eindrücke. Diese Bearbeitung der 7. Sinfonie ist klasse gelungen und doch folgt das eigentliche Herzstück des Abends noch. Golo Berg hat bei der Einführung ins Werk erzählt, dass er eigentlich Schostakowitsch spielen lassen wollte nach dieser Beethovenbearbeitung, doch Zweifel wuchsen. Konnte er dem münsteraner Publikum den dunklen, schwermütigen Schostakowitsch zumuten? Er entschied sich stattdessen für Robert Schumanns Konzert für Violincello und Orchester. Und schließlich betrat ein Großer seiner Zunft die Bühne: der Cellist Wolfgang Emanuel Schmidt, der 20 Jahre zuvor hier in Münster seine erste Professur innehatte und inzwischen weltweit auftritt. Was sich dann auf dem kleinen Solistenpodest abspielte, war einfach unglaublich. Schuman hat ja keine Pausen zwischen den Sätzen gelassen. So muss Schmidt die wenigen Sekunden, in denen das Orchester alleine spielt, nutzen, um sich Schweiß abzutupfen. Der Bogen tanzt auf den Saiten, während die Finger der linken Hand den Steg hoch und runter sausen. Doch schon meldet sich das Orchester zurück, dem Solisten bleibt keine Zeit, doch Schmidt schaffte es, trotz dieses Drucks nicht nur technisch zu überzeugen, sondern auch emotional. Ein tolles Konzert, bei das Auditorium zum Schluss ganz zu recht stand.

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