von der verschimmelnden Erdbeere

Unter einem großen, wallenden Tuch, das in den Bühnenhimmel gezogen wird, kriechen die ersten Menschen hervor, in mit wabengemusterten Ganzkörperanzügen scheinen sie sie die Evolution zu bündeln. Die Schönheit, das Unbefleckte, das Gute wird in den Himmel projiziert und tummelt sich da, bewegt sich anmutig wie anfangs die Tänzer*innen im Großen Haus. „Der himmlische Spiegel“ heißt der Tanzabend von Hans Henning Paar, der gestern uraufgeführt wurde. Die musikalische Leitung oblag Thorsten Schmid-Kapfenburg.

„Der Garten der Lüste“, Hieronymus Boschs Triptychon, jene dreiteilige Relieftafel, die neben dem Paradies und dem Lustgarten auch die Hölle zeigt, diente Paar der choreografischen Umsetzung. Anfangs noch mit Gott allein, mit einem Schwarm Vögel, blühenden Bäumen und sprudelnden Bachläufen, ist das Zentrum eben der Garten der Lüste. Und so innig, ruhig, wild, hemmungslos bewegen sich auch die elf Tänzer*innen, rollen zu zweit, als Paar verschlungen in einer großen Seifenblase herein, tragen eine Gasmaske oder krabbeln allein in einer aufgeschnittenen, transparenten Kugel. Die Musik, eigens für die Choreografie komponiert, gewinnt an Dynamik, konterkariert allerdings manchmal auch Hörgewohnheiten. Und schon wird ein großer, runder Spiegel heruntergelassen, der dem Auditorium eine zusätzliche Perspektive ermöglicht, und auch den Tänzer*innen, die sich dichtgedrängt beim Blick ins eigene Antlitz schuldig fühlen, aber doch von ihrem Tun nicht lassen können, weiter der Lust zu frönen. Auf die andere Spiegelseite wird ein riesiges Auge projiziert mit Pupille, Iris und kleinen Hautfältchen, dann eine große, rote, leckere Erdbeere. Gleichzeitig wird unten getanzt, die Tänzer*innen mit nichts als einer großen Beere bekleidet. Doch schon beginnt die Erdbeere auf der Projektionsfläche zu schimmeln, langsam zunächst bis eine dicke schwärzliche Schicht aus Gammel auf ihr ruht. Kein schmackhaftes Rot mehr zu sehen. Es wartet die rechte Seite des Triptychons, die Hölle.

Eine gelungene Umsetzung des Themas mit tollen Tänzer*innen, denen es gelingt, das ganze Spektrum des Menschseins abzubilden. „Der Garten der Lüste“ hängt übrigens im Museo del Prado, das ich vor zwei Jahren besuchen durfte.

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