Wenn der Schauspielleiter selbst vor Beginn der Aufführung auf die Bühne kommt, weiß man natürlich, dass etwas passiert sein muss. Und tatsächlich meldet Regisseur Frank Behnke die Erkrankung von Christian Bo Salle in der Rolle des Arztes Jewgeni Sergejewitsch Dorn, der kurzfristig von dem alten Hasen Gerhard Mohr ersetzt wurde. „Sie erkennen ihn am Textbuch“, scherzt Behnke. Gestern Abend vor wie bekannt pandemiebedingt halbvollem Haus gab es die Premiere von Tschechows Möwe.
Die Figuren sind gut besetzt in Tchechows Klassiker um Liebe und Kunst, Ruhm und Eifersucht, Gerhard Mohr fächert sich mit dem Textbuch Luft zu, als Irina Nikolajewna Arkadina ihre Füße im See in der russischen Provinz erfrischt. Birte Leest füllt die Rolle der Mutter Irina herrlich extrovertiert und erdrückend. Sie ist die große Schauspielerin, die für die Kunst ihres Sohnes, ein eigenes kleines Theaterstück, nur Spott übrig hat und kurzerhand Hamlet zitiert, als er sein Erstlingswerk zeigt. Keinen Rubel hat sie für ihren Sohn übrig, schließlich muss ihre Garderobe, die Kleidung einer „ganz Großen“, ja besonderen Maßstäben gerecht werden – und das kostet eben. Die Leiden des Sohnes Konstantin, der sich nichts sehnlicher wünscht, als Erfolg beim schreiben, werden wunderbar transportiert von Julian Karl Kluge. Ach, und dann diese ganze unerfüllte Liebe. Die Liebe, die Kunst, die Freiheit – die Möwe – genau die wird am See erschossen – und ist nicht die einzige.
Mir ist die ganze Inszenierung allerdings zu minimalistisch, mir fehlt der Bühnenaufbau, ein kleiner Pool mit einem Eimer Wasser als See, im wesentlichen werkeln die Schauspieler mit Plastikstühlen, was man sicher so machen kann. Nur erinnert das dann eher an eine Schulaufführung. Inzwischen hat sich das Publikum auch an die Wiedereröffnung des Theaters gewöhnt und feiert sich nicht mehr selbst, also keine standing ovations.