drei Hammel voll Gold

Schon Loriot hat in seinem kleinen Opernführer geschrieben, dass Candide, das Werk der Herren Voltaire und Bernstein, das einzige seiner Art sei, dessen genaue Inhaltsangabe ? – rasch vorgetragen ? – genau so lange dauere wie das Musical selbst. Im Theater Münster hat man sich einiges überlegt, um das Werk zu einem bunt schillernden Genuss zu machen. Gestern war unter musikalischer Leitung von Stefan Veselka und szenischer Einrichtung von Dramaturg Ronny Scholz Premiere.

Dabei stand sie unter keinem sehr glücklichen Stern, denn ausgerechnet Marielle Murphy, die mit Cunegonde die weibliche Hauptrolle singen sollte, ist erkrankt. Allerdings hat man, das darf ich vorausschicken, mit Koloratursopran Elena Fink einen großartigen Ersatz gefunden, der sich ausgedehnten Zwischenapplaus verdient. „Wir haben sie extra aus Berlin eingeflogen“, sagt Intendant Ulrich Peters vorher noch.

Hinter einem begehbaren Gerüst befindet sich in der Bühnenmitte eine große Leinwand, auf die der Live-Illustrator Robert Nippoldt allerlei Figuren zeichnet, aus ausgeschnittenen Teilen zusammensetzt oder mit kleinen Textnachrichten jongliert. Das sorgt für manche Erheiterung und ist künstlerisch gut gemacht. Unter dem Gerüst hindurch kann man das Orchester sehen, das mit Lust Bernsteins Musik spielt. Ausgerechnet Meinhard Zanger, Intendant am Bochert-Theater, gibt den Loriot, also den Erzähler, der mit dessen Texten über den Fortgang der Geschichte berichtet. Oben unter das Theaterdach hat man noch einen Chor gequetscht, der je nach Örtlichkeit mal westfälisches Liedgut aus dem 18. Jahrhundert, mal portugiesisch, französisch oder spanisch intoniert. Es kommt halt drauf an, wo sich Candide und/oder Cunegonde aufhalten – da kann man schon mal die Übersicht verlieren. Denn die abenteuerliche Reise führt aus der Westfalenmetropole über Lissabon und Paris zunächst nach Spanien, wo Candide, übrigens wunderbar gesungen von Garrie Davislim, aus Eifersucht einen Doppelmord begeht. Live-Zeichner Nippoldt entfernt mit einem Föhn Farbreste eines Zukunftsbildes, das mehr und mehr verblasst und kehrt die Krümel mit einer Scheckkarte zusammen. Wie und ob sich Candide den Drogencocktail verabreicht ist zwar nicht überliefert, doch die Flucht führt dann ins argentinische Buenos Aires. Dort ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende. Wir wollen aber nicht spoilern. Nur soviel: Drei mit Gold beladene Hammel spielen eine nicht unwichtige Rolle. Neben den beiden Hauptakteuren gibt es noch einige andere Rollen, Stimmen. Gewohnt überzeugend ist Gregor Dalal als Hauslehrer Dr. Pangloss, der immer wieder an Stellen auftaucht, wo man ihn nicht erwartet. Seine donnernde Stimme lässt aufschrecken.

Eine tolle, schrille und liebevolle Inszenierung, die gerade durch Robert Nippoldt eine zusätzliche weiche Seite bekommt, ein musikalischer Genuss, eine würdige Spielzeiteröffnung, wenn es schon die ansonsten übliche coronabedingt nicht gibt.

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