Liebe

Eine Hochzeit, die im Fiasko endet, weil der Bräutigam nach und nach gesteht, dass er sämtliche Schwestern der Braut geküsst hat. Vielleicht war da ja auch mehr? Ein Paar, das sich nichts (mehr) zu sagen hat und nur durch die Kinder lebt, die es aber gar nicht gibt. Eine Ehefrau, die sich seit 15 Jahren scheiden lassen möchte, und deren Ehemann nur bat, noch so lange zu warten bis die Kinder groß sind. Regisseurin Anne Bader hat Joel Pommerats Stück „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ bearbeitet und in einen Gemeindesaal verlegt. Gestern war Premiere im Großen Haus.

Was politisch mit Korea zurzeit einige Brisanz hat, kann man ja auch runterbrechen bis auf die kleinste Verbindung, die zwischen zwei Menschen. Reicht Liebe aus für eine dauerhafte Bindung? Was ist, wenn keine Liebe da ist? Trennt man sich und kann man sich wiedervereinigen? Diese letzte Hoffnung hat eine Frau, deren Ehemann nicht zur Änderung seiner Lebensweise bereit ist und die deshalb die Scheidung eingereicht hat. Sind sie erstmal geschieden von Tisch und Bett – so ihre Hoffnung – können sie sich wieder annähern, auf dass die Liebe neu erglühe und stärker noch werde als je zuvor. In den schillerndsten Farben malt sie die Zukunft des Paares an die imaginäre Wand. Was sie im Gegensatz zu ihren beiden Freundinnen nicht sieht: Ihr Noch-Ehemann hat sich hoch oben an der Decke des Saales erhängt.

Wilhelm Schlotterer ist Serge, dessen Frau demenzkrank seit zwei Jahren in einer Einrichtung lebt. Wie zart er seiner Frau immer wieder erklärt, dass beide verheiratet sind, einer Frau, die ihn gerade noch gesiezt hat. Wie sacht sie ihn umarmt (zum ersten Mal umarme ich einen Mann). „Hatten wir Sex?“, fragt sie ihn und er antwortet: „Gestern noch“ und dann erzählt er, wie es dazu kam nach dem Spaziergang. Er schwärmt vom gemeinsamen Pilze suchen und berichtet von den Kindern. „Wir haben Kinder?“ Jeden Tag neu – wenn das nicht Liebe ist – und so verliebt auch sie sich jeden Tag neu in Serge.

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Zwei Publikumslieblinge gibt es, durchaus zu recht: Da ist einmal  Ilja Harjes, der wie das gesamte Ensemble in unterschiedliche Rollen schlüpft, der daneben aber auch noch singt, unter anderem den  Presley-Song „Love me tender“, eine witzig choreografierte Tanzeinlage liefert und dann noch im Brautkleid zur E-Gitarre greift, während die Braut sich die altrosafarbene Hochzeitstorte mit den Fingern einverleibt.

Grandiose schauspielerische Leistung zeigt Andrea Spicher in der Rolle als behindertes Mädchen, das von einem offensichtlich selbst behinderten jungen Mann schwanger ist und das Kind – trotz aller Versuche, es von einer Abtreibung zu überzeugen – bekommen möchte. Mit Krönchen im Haar, Herzballon und weißen Söckchen entwickelt Spicher eine zarte Figur ohne Übertreibung, die der Liebe so viel Unbekümmertheit und Gewicht verleiht, dass  schließlich selbst ihr Vater vor Rührung aufgibt. Reicht Liebe doch?

Eine schöne Inszenierung mit tollen Kostümen, Männer in himmelblauen, glänzenden Zweireihern oder lindgrünen Anzügen. Ein besonderes Kompliment an Luisa Wandschneider, die sich nicht nur für die Kostüme sondern auch für die Choreographie verantwortlich zeigt. Der Gemeindesaal, indem all die Episoden stattfinden, gibt eine Klammer und zugleich Öffentlichkeit, und seien die Geschichten noch so intim. Eine gute Idee.

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