Macht und Missbrauch

Ein puristischer Bühnenaufbau, ein sich verjüngender Steg als (Haupt-)Bühne und dahinter ein silbrig-glänzender Flattervorhang. Etwas langatmig und umständlich beginnt die Shakespeare-Komödie „Mass für Mass“ gestern im Großen Haus, eine Inszenierung von Ronny Jakubaschk.

Aus einem scheinbaren Knäuel von Menschen, die sich mühevoll, langsam-tänzerisch bewegen und dann auch noch anfangen zu singen, tropfen nach und nach die Protagonisten von der Bühne. Übrig bleibt allein Vincentino, Herzog von Vienna. Der Herzogs Ruf ist allzu liberal. Unzucht, Kuppelei, so kann man dem Laster nicht begegnen. Deshalb überträgt er unter einem Vorwand dem Edelmann Angelo (Jonas Riemer) die Stadtgeschäfte und schon ist er Vienna enteilt. So ganz ist er hingegen nicht verschwunden. Er verkleidet sich als Mönch. So kann er den Statthalter Angelo unerkannt und hautnah beobachten. Und was er da zu sehen bekommt, gefällt ihm so gar nicht. Denn Angelo, von süßen Duft der Macht berauscht, statuiert sogleich ein Exempel. Der arme Claudio wird eingesperrt und zum Tode verurteilt, weil er seine Braut Julia geschwängert hat, noch bevor die beiden den Bund der Ehe eingegangen sind. Was Münsteraner bemerkenswert finden dürften, ist die Größe des Käfigs, in den Claudio gesperrt und in den Bühnenhimmel gezogen wird. Dessen Pendant hängt in dreifacher Ausfertigung am Lambertiturm. Eine kleine Hommage, wenn nicht an die Zeit der Widertäufer so doch zumindest an die Stadt. Auf der Bühne nimmt die Dramatik ihren Lauf. Einzig Isabella, Claudios Schwester, die eben dabei ist, im Kloster Novizin zu werden, soll Claudio retten können. Bitten, betteln, diskutieren, Rede und Gegenrede aber doch nicht mit ihrem Körper bezahlen. Doch genau das verlangt Angelo. Toll Sandra Schreiber in der Rolle von Isabella mit langen orangen Haaren, wie sie da hin und hergerissen ist, entrüstet ablehnt, mit ihrem Bruder spricht, der insgeheim erwartet, dass seine Schwester ihn auch zu dem Preis retten möge. Zwar gelingt eine kühne Täuschung, die der als Mönch verkleidete Herzog einfädelt. Allein es nutzt nichts. Die Hinrichtung von Claudio (Louis Nitsche) soll sogar vorgezogen werden. Wie immer gefällt mir auch Gerhard Mohr in der Rolle des Wächters Ellbogen ausnehmend gut, wie er da schon mal die Schärfe der Axt prüft und den richtigen Schwung, auf das er nur einmal schlagen muss, wie er mit Macht umgeht und Befehlen, die es zu befolgen gilt oder eben nicht.

Eine Inszenierung, die einzig von der Intensität der Schauspieler*innen lebt. Neben Sandra Schreiber als Isabella und Gerhard Mohr als Ellbogen ist es insbesondere Wilhelm Schlotterer als Herzog Vincentino, der überzeugt. Zudem musste sich Schlotterer Unmengen von Text draufschaffen. Dass er das beherrscht, hat er ja schon beim Reichsbürger bewiesen. Kleine Stolperer zieht er gekonnt gerade. Ansonsten aber finde ich das Ganze etwas bieder und fantasielos. Auch kann man sich wundern über die eigenartige Pause, die nach 90 Spielminuten einsetzt, nur um in Anschluss noch ein halbes Stündchen dranzuhängen. Eine (!) einzelne Dame versucht sich trotzdem in Standing Ovations – vielleicht die Frau des Regisseurs.

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