Die beiden Schwestern Sis und Kat haben auf dem Rückweg von einer Familienfeier eine Radfahrerin überfahren oder war es tatsächlich nur ein Leitpfahl, wie Sis behauptet? Klar scheint aber, dass Sis den Wagen gelenkt hat, weil Kat – mal wieder – betrunken war. Oder stimmt auch das nicht? Tatsächlich gibt es mit dem früheren Zellbiologen Ge – inzwischen Aussteiger – einen Zeugen. Gestern Abend im U2: „Falsch“ von Lot Vekemans in einer Inszenierung von Frank Behnke.
„Scheiße, scheiße, scheiße“, Kat (als Kurzform von Katharina) ist derb in ihrer Wortwahl, doch um die geht es im Moment auch nicht. Kat läuft durch eine Zelle, die sie sich mit Sis teilt, immer wieder hadernd mit dem Schicksal, das sie hier hin gebracht hat. Dabei kann Kat sich an den Abend gar nicht erinnern und muss ihrer Schwester Glauben schenken. Einen mehrstündigen Aufenthalt im Gewahrsam kann Kat sich jedenfalls gar nicht erlauben. Sie ist Theaterschauspielerin und hat am selben Abend noch einen Auftritt. Und überhaupt: was soll das? Wegen eines umgefahrenen Pfahles sitzen sie hier fest? Anders, irgendwie gelassener, scheint ihrer Schwester Sis, die ruhig und entspannt auf der Bank sitzt und die Gefängniszelle als Warteraum betrachtet. Nicht umsonst bestehen die rückwärtigen und Seitenwände aus einer Mischung aus Gitterstäben und Spinnennetz. Denn die beiden belügen nicht nur einander sondern vor allem sich selbst. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man drüber lachen, wie Gefühle von Neid und Eifersucht, Missgunst und Geringschätzung sich Bahn brechen. Sis ist erfolgreich im Unterhaltungssektor des Fernsehens tätig, berühmt sogar, doch abhängig von der Gunst der Journalisten, und immer im Windschatten der so ernsthaften Theaterschauspielerin Kat, die ach so entscheidende gesellschaftliche Impulse setzt. Zwar wehrt sich Sis vehement gegen solche Vorhaltungen ihrer Schwester, doch hat das gemeinsame Aufwachsen Spuren hinterlassen. Sis habe Löcher in das Kommunionkleid von Kat geschnitten, empört sich Kat noch nach Jahren. Kat wiederum habe Sis als Bettnässerin denunziert „die Lissy, die Lissy, die riecht nach PIssi“.. „Wann hast Du Deine letzte Hauptrolle gehabt,?“ fragt Sis ihre Schwester auf den Brettern der Welt, „Vor 5 oder 6 Jahren? Schon geht es um die Alkoholabhängigkeit von Kat. Bei soviel konzentrierter Emotion freut man sich regelrecht, dass Ge (auch G Punkt) auftaucht, der den weißen Peugeot 306 gesehen hat, samt Kennzeichen. der die Frau in dem langen roten Kleid mit weißem Schal erkannt hat, die sich über die Radfahrerin gebeugt und dann doch ihre Fahrt fortgesetzt hat Der frühere Zellbiologe, der inzwischen mit seinen vielen Tieren in einem Wohnwagen in Unfallnähe wohnt, bringt ein bisschen Licht ins Dunkel. Und schon zeigt sich die alte Weisheit vom Blut, das dicker ist als Wasser.
Ein emotional fesselndes Stück, dass auch und gerade von der schauspielerischen Leistung der drei Protagonisten lebt: Carola von Seckendorff als Kat und Ulrike Knobloch als Sis könnten glatt als Schwestern durchgehen, so verletzen sie sich bis aufs Knochenmark und sind doch so zart zueinander. Bálint Tóth als Ge (oder G Punkt) bringt Struktur in die Angelegenheit und zeigt den Zusammenhang zwischen Glauben und Wahrnehmung auf.