Gerade als Jesko, ein erfolgreicher und medial bekannter Redakteur, mit dem Auto unterwegs ist, wird ihm ein Nacktbild zugeschickt. Heute würde das vermutlich kaum mehr jemanden schocken. Doch das Foto zeigt ihn als etwa 11-jährigen Jungen im katholischen Aloisiuskolleg in Bonn Bad Godesberg. So beginnt „Bilder von uns“, ein Stück von Thomas Melle, der als Schüler selbst ein Kolleg in Trägerschaft des Jesuitenordens besucht hat. Unter Regie des jungen Regisseurs Henri Hüster ist gestern das Schauspiel Wuppertal zu Gast im Kleinen Haus.
So richtig nackt sei er da doch gar nicht und überhaupt gebe es doch keinerlei Anzeichen für sexuelle Zusammenhänge, versucht Jesko sich selbst zu belügen. Sehr überzeugend, wie Stefan Walz ihn spielt, so stark und nicht angreifbar mit einem Plädoyer dafür, die Vergangenheit zu lassen was sie ist – nämlich vergangen. Doch Jesko ist geschockt, fast hätte er eine Lehrerin und deren Schulklasse überfahren. Und auch seiner Frau zeigt er das Bild zunächst nicht, stattdessen verstrickt er sich in Lügen. Eine im Theater gezogene Zwischenmembran verdeutlicht den Abstand, den Jesko jetzt schon zu seiner Frau und zur damaligen Zeit hat. Schließlich versucht er, den Urheber des Bildversands selbst auszumachen, was jedoch nicht so leicht ist. Denn das Bild wurde ihm anonym zugesandt. Verdächtig sind da erstmal die ehemaligen Mitschüler, ein Rechtsanwalt, ein Werbefachmann, ein „Looser“, der irgendwie nichts auf die Kette kriegt. Und dann, langsam, werden doch Geschichten offenbart, wie die Jungs regelmäßig nackt fotografiert wurden, wie sie zum Fiebermessen nicht zum Padre Stein wollten, weil der das Thermometer unter Grunzen in den jugendlichen Anus schob. Wie wäscht man einen Penis? Das braucht Anschauung. Konstantin, hervorragend gespielt von Alexander Peiler) ist zunächst noch der griechische Adonis mit Umhang und schön geformtem Po als Figur auf dem Brunnen, ganz wie die katholische Einrichtung das Sehnen nach Schönheit, nach unbefleckter Erziehung postuliert. Doch als die Geschichte weit genug fortgeschritten ist, kann man erkennen, wie sehr er leidet unter den Vorkommnissen, die alle anderen irgendwie bagatellisieren. Zumindest Jesko, der meint, zur alten Stärke zurückgefunden zu haben. Von der Decke hängen große Masken, hinter denen sich die Protagonisten zeitweise verbergen und dann – wenn sie meinen, nicht erkannt zu werden – auch körperliche Ausfallerscheinungen wie epileptische Anfälle zeigen, Schüttelfrost, Angst, Unruhe, Schlaflosigkeit. Konstantin ist fortwährend nackt, was eher im übertragenden Sinne gemeint sein dürfte – er kann sich schlicht nicht mehr verbergen. Er reagiert gereizt aber ehrlich, was freilich sein tragisches Ende nicht verhindert.
Ein berührendes Theaterstück, was nicht allein auf Bonn Bad Godesberg begrenzt sein dürfte mit Schauspieler*innen, die sich Bestnoten verdient haben. Sexuelle Übergriffe im Aloisiuskolleg sind im Jahr 2010 an die Öffentlichkeit gelangt, das Stück selbst ist Fiktion.