Zeitreise mit Rückkehrgarantie

Manch einer mag das Barock nicht, zuckersüß und goldlackiert scheint es sich selbst genug. Doch es gibt auch Freunde dieses Zeitalters, die sich regelmäßig mitnehmen lassen auf eine Zeitreise. Dann nämlich, wenn das Sinfonieorchester Münster in unterschiedlicher Besetzung einlädt zum Erbdrostenhofkonzert – gestern Abend zum zweiten mal in dieser Spielzeit – diesmal mit Annette Wehnert an der Violine und Lisa Schäfer und Gregor Hollmann am Cembalo – abgerundet mit Rezitationen von Carsten Bender.

Dass die Gedichte, die Bender vorträgt, nicht bloßes Beiwerk sondern elementare Bestandteile des Konzertes sind, beweist der Mann des Wortes schon nach dem ersten Stück für zwei Cembali, welches das Publikum gleich mal 250 Jahre zurückversetzt. Bender philosophiert mit sonorer Stimme und beeindruckendem Resonanzboden „über die Theaterleidenschaft und Dichtkunst“. Alle Texte des Abends sind von Anton Mathias Sprickmann, dem ersten Theaterdichter Westfalens. Der fast voll besetzte Saal schweigt andächtig. Und schon erklingt Wehnerts Violine. Viele Menschen haben die Augen geschlossen, als sie Franz Bendas Sonate C-Moll spielt und sind ganz verwundert, dass Carsten Bender plötzlich von der Empore spricht, viele können ihn gar nicht sehen, wie er da spricht und liest, wie er in den Worten lebt und bebt, über die Liebe sich sagen lässt:

Ich sähe Dich. In menschlicher Gestalt.

Glaubt ich, der Engel schönsten zu erblicken.

Ich fühlte tief, mit himmlischem Entzücken.

Der Schönheit reizende Gewalt.

Dieser Wechsel zwischen barocker Musik und den Gedichten, die aus Benders Mund selbst wie Musik klingen, ist einfach famos. Lisa Schäfer unten im Saal mit ihrem Cembalo „unterhält“ sich mit Carsten Bender, der im übertragenden Sinn nicht nackt da steht. Vielmehr „spielt“ er  Sprickmann von der Empore.aus. Gregor Hollmann nutzt eine der wenigen Pausen zwischen Musik und Applaus und wieder Musik, um auf Christian Kalbrenner hinzuweisen, den Vater des Pianisten Friederich. Ihm selbst, also Hollmann, war Christian Kalkbrenner völlig unbekannt. Dieser habe aber eine Unmenge von Kompositionen zurückgelassen, die die Musiker mühsam zusammengetragen hätten. So sei das  münsteraner Publikum in der glücklichen Situation, ein Exklusiv-Konzert zu erleben. Es folgen schöne Momente, in denen Violine und Cembalo zu einer Einheit verschmelzen. Und wieder rezitiert Carsten Bender über die Liebe (An Doris) oder die  Rosenknospe. Die Menschen im barocken Saal scheinen ganz entrückt und als das Cembalo dann noch vierhändig gespielt wird, ist es mucksmäuschenstill. Selbst der Hustenreiz einiger Gäste – ansonsten nahezu fast ständiger Begleiter – traut sich nicht. Zum Schluss wird es noch einmal richtig dynamisch mit Georg Joseph Voglers Sonate B-Dur für zwei Cembali – auf das niemand auf die Idee kommt, im Erbdrostenhof zu übernachten. Ein schönes Konzert in einer Umgebung, die immer wieder staunen lässt.

 

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