feel big bro

Regisseur Moritz Peters hat sämtliche Zuschauer im Kleinen Haus zu „Überwachern“ gemacht, indem er das Ensemble in einem verglasten Raum spielen lässt, dessen riesige Türen sich aufschieben lassen. Aus dem Off kommen immer wieder lobende, motivierende Kommentare an das Volk auf der Bühne, das ganz in langweiligen blau-grau Tönen gekleidet ist. Gestern war Premiere von George Orwells 1984.

Mithilfe von Televisoren überwacht die Partei die Menschen, die fleißig selbst daran basteln, andere Menschen zu löschen, zu „entpersonen“. Gleichzeitig wird der Wortschatz immer kleiner. „Denn“, so Syme (großartig Gerhard Mohr) „Wer braucht schon zwei Worte, wenn eins reicht? Gut und nicht gut statt gut und schlecht.“ Neusprech nennt sich das. Zur Belohnung gibt es Schokolade, 20 Gramm extra mit orgastisch unterlegter Musik. Dabei ist der Orgasmus gerade das, was die Partei abschaffen will, keine Liebe, keine Loyalität. Einer, der Zweifel hat, ist Winston Smith, Mitarbeiter im Ministerium für Wahrheit und etwas in Rückstand mit seinem Fitness-Programm. Smith schreibt in sein Tagebuch: „Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei und zwei gleich vier ist. Sobald das gewährleistet ist, ergibt sich alles andere von selbst.“ Zufällig entdeckt er einen Antiquitätengeschäft, in dem es – so der schrullige Besitzer – einen Raum ohne Überwachung durch einen Televisor gebe. Zunächst hat Smith dafür allerdings keine Verwendung sondern gibt sich wieder der Parteidoktrin hin. Auf dem Programm steht der „Zwei-Minuten-Hass“. Gerüchteweise gibt es nämlich eine Untergrundorganisation, die die Parteilinie torpediert und auf einer Schrift von Emanuel Goldstein aufbaut. Es gilt, diese Schrift und ihren Urheber lautstark zu schmähen. Doch dann kommt es eben doch zu einem feinen, kaum merklichen Kontakt zu Julia, die Winston versehentlich touchiert. Und aus diesem Kontakt entwickelt sich mehr, über echte Schokolade und Bohnenkaffee führt der Weg ins Zimmer ohne Televisor, Gerüche, Haut,  Berührungen. Julia und Winston begehren, küssen und lieben sich. Leider kann man Claudia Hübschmann in der Rolle von Julia die Gefühle nicht abnehmen, während Jonas Riemer als Winston Smith überzeugt. Dabei hat er auch den intellektuellen Part, liest das Buch von Goldstein. Julia hingegen hat zwar auch Zweifel am System, doch diese drücken sich einfacher aus oder wie Winston Smith es sagt: „Du machst Revolution mit dem Unterleib“.   Als das Ganze doch auffällt, wartet Zimmer 101 im Ministerium für Liebe.

Ein besonderes Kompliment für tolle großformatige oder auch kleinere Video-Projektionen auf den Glasscheiben geht an Daniel Frerix. Auch wenn hinter mir gleichmäßiges Atmen seligen Schlaf bedeutete und von der anderen Seite fortwährendes wispern und tuscheln eine gewisse Unaufmerksamkeit, so fand ich diese Premierenvorstellung mehr als gelungen.

 

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