Komm, zieh Dich aus, wir tun es hier

Vermutlich muss eine Bühnenfassung, die das „weiße Album“ der Beatles thematisiert, so zerfasert und unsortiert sein wie das Album selbst, noch dazu wenn sie nur an einem Ort spielt  – nämlich in einem viktorianischen Hotel, dem Grand Appel Hotel, das seinen Namen wohl von der Plattenfirma der Beatles hat – nämlich Apples Corps. Schließlich trägt das Label einen grünen Granny Smith im Logo und hat sich schon mit dem gleichnamigen Technologieunternehmen angelegt. Es geht äußerst unterhaltsam zu auf der Bühne mit Spiderman im Schneeball, einem rosa Elefanten mit Winchester, einem Affen, wilden Zimmermädchen, und einem running gag, der die Klammer darstellt – aber eben auch konfus. Gestern Abend zeigte das Theater Münster im Kleinen Haus „das weiße Album“ unter Regie von Michael Letmathe. Deutsche Liedtexte gab es von Roland Schimmelpfennig.

Fast fortwährend ist ein wildes Gewusel auf der Bühne. Wenn nicht gerade eines oder mehrere Zimmermädchen die Treppe rauf- oder runterstolzieren, laufen oder rutschen, der Barkeeper auf den Tresen springt oder ein Liftboy eine drei Meter lange Bambusstange durch die Gegend trägt, auf dass sich die Sängerin ducken muss, ist es insbesondere Andrea Spicher, die den Titel „Why d`ont we do it in the road?“ mit Leben füllt. Schimmelpfennig hat daraus mal flugs „Komm zieh Dich aus, wir tun es hier“ gemacht – und das wird zum Grundton, zum immer wiederkehrenden Motiv. „Niemand wird uns zusehen“. Spicher bietet sich in der Rolle allen möglichen Männern an, es dürfen auch ruhig mehrere sein. Schon nestelt sie an Hosen und Trägern, legt sich obszön danieder. Eine grandiose Band sorgt dafür, dass das Ganze nicht entgleitet sondern einen künstlerischen Anspruch behält. Und dann dürfen die Konzertbesucher auch noch mitsingen: „Hey, Bungalow Bill“, rechts, links, Mitte. Münster ist nicht der Broadway und so richtig anstecken lässt sich das Publikum nicht. Doch die Schauspieler lassen nicht locker: „Birthday“, der Song von Lennon und McCartney treibt die sieben Schauspieler um Garry Fischmann ins Auditorium, lässt Hände Schütteln bei Flutlicht, es wird sogar getanzt. Was „back in the USSR“ noch nicht geschafft hat, kommt langsam doch: Stimmung. Dafür gibt`s ganz zum Schluss auch noch mal „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ im Original, nachdem zuvor eine etwas eigenwillige Übersetzung zu erleben war.

Die Idee, einen Zusammenhang herzustellen zwischen all den Liedern und den Texten des weißen Albums, ist klasse. Und wo sonst wäre das schon möglich, wenn nicht in einem internationalen Hotel, wo ja Menschen und Geschichten extrem aufeinandertreffen. Trotzdem ist das durchaus  gewagt. Denn das weiße Album, das einzige Doppelalbum, entstand 1968 (vor 50 Jahren) und damit in der Spätphase der Beatles. Künstlerisch unterschiedliche Reife oder Entwicklung, persönliche Differenzen, ganz verschiedene Einflüsse, etwa von Yoko Ono oder auch durch Indien machten aus der Platte eine bunte Collage. Das muss man erstmal zusammenkriegen. Mir persönlich war das dann etwas zu viel Slapstick, ein Hauch Klimbim, auch wenn Musiker und Schauspieler ihre Sache gut gemacht haben, sehr gut sogar.

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