Rainer Werner Fassbinder in Münster

Geschichten und Lebensläufe aus Nachkriegsdeutschland, drei starke Frauen, zwei Pausen und mehr als vier Stunden Gesamtspielzeit ergeben einen langen Theaterabend, bei dem Kostüme und Bühne, Schauspiel und Musik ein Füllhorn ausgießen, ein Füllhorn, das so manch einem schon zu viel wurde. Spätestens nach der zweiten Pause leerte sich das Große Haus merklich. Mit „die Ehe der Maria Braun“, „die Sehnsucht der Veronika Voss“ und „Lola“ feierte das Theater gestern Premiere mit der BRD-Triologie nach Rainer Werner Fassbinder in einer Inszenierung von Schauspielchef Frank Behnke.

Granaten, Luftangriffe, Sirenen – man kann sich den Rahmen für eine Hochzeit schöner vorstellen. Mitten in den Kriegswirren heiratet Maria (Rose Lohmann) Hermann (Ilja Harjes) Braun. Kaum hat der Standesbeamte den Stempel mit Reichsadler unter die Urkunde geklatscht, wird Hermann schon eingezogen. Und Maria wartet und wartet und wartet. Natürlich hat sie die Hoffnung, dass Hermann zurückkommt, ein Hoffnung, die enttäuscht wird, als ein anderer Kriegsrückkehrer vom Verlust von Hermanns Division berichtet. Eben noch wurde die Bühne von zahlreichen klobigen Leuchten erhellt, schon senken diese sich ab und bilden einen Kriegsgräberfriedhof. Ein eindrucksvoller Zug der Regie, imposant und bedrückend. Indes bleibt für die junge Frau nicht viel Raum für Trauer, doch die Liebe zu ihrem Mann bleibt grenzenlos, quasi omnipräsent. Maria beginnt in einem Club zu arbeiten und lernt da den amerikanischen GI Bill kennen, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Es kommt wie es wohl kommen muss. Gerade hat Maria Bill von ihrer Schwangerschaft erzählt, erscheint Hermann doch. In einem Handgemenge erschlägt Maria Bill mit einer Flasche. Hermann nimmt die Verantwortung auf sich und wandert ins Gefängnis. Maria hat eine Fehlgeburt, und dann beginnt die Geschichte des deutschen Wirtschaftswunders, als Maria den Industriellen Karl Oswald (Christian Bo Salle) kennenlernt. Zunächst arbeitet sie als seine rechte Hand, entwickelt aber immer mehr Geschäftstüchtigkeit. Diese Episode lebt von der Schauspielkunst von Rose Lohmann, von der Metamorphose von der kleinen, liebenden, etwas naiven Maria hin zur Geschäftsfrau, klar, deutlich ohne Gefühlsregung, jedoch immer die Liebe zu ihrem Mann im Hinterkopf, ein Anker in ihrem Leben. Ein Anker, der keiner ist, wie sich später zeigt.

Klasse auch die drehbare Bühne, deren weiße Wand sich öffnet, schließt und Raum für Videoprojektionen bietet. Sind es eben noch Bilder von der Weltmeisterschaft 1954, Helmut Rahn, später Franz Beckenbauer, Andreas Brehme, Mario Götze, flimmern nun Bilder und Sequenzen von der Schauspielerin Veronika Voss über die Leinwand. Die alternde, bei Produzenten langsam in Ungnade gefallene Diva wird großartig von Carola von Seckendorff gespielt, im weißen Kleid mit Schärpe, wie sie da auf den Wagen wartet, der sie zum Set bringt. Dabei hat sie nur noch eine kleine Rolle, so klein, völlig unangemessen, doch selbst da versagt sie. Da helfen nur Drogen, die ihr von Dr. Marianne Katz (Sandra Schreiber) verordnet und verabreicht werden. Der arme kleine Sportreporter Robert Krohn (Joachim Foerster) lässt sich noch beeindrucken. Aber natürlich endet die Geschichte tragisch.

Und schon befinden wir uns in einem ganz besonderen Raum, in einer Mischung aus Stadtverwaltung und Bordell, wo die Grenzen verschwimmen, wo Korruption, Sex, Moral und Baugenehmigungen eine seltsame Symbiose eingehen. Lola, “ die Frau mit dem schönsten Arsch der westlichen Verteidigungsgemeinschaft“ (überzeugend Sandra Schreiber bildet das Zentrum. Sie singt, sie hat Sexappeal und hängt irgendwie mit drin, Betthase von Bauunternehmer Schuckert (Jonas Riemer). Dabei will sie doch nur geliebt werden wie wir alle. Eine Liebe wie die des neuen Baudezernenten von Bohm (Lija Harjes), der mit der Korruption aufräumen will. Auch wenn es in diesem letzten Teil schöne Szenen gibt, etwa als die stark alkoholisierte Lola den „Flächennutzungsplan“ nicht über die Lippen bringt oder wie der erfolgsverwöhnte Schuckert den neuen Baudezernenten wie ein kleines Kind auf seinem Schoß dreht, an die Intensität der ersten beiden Teile reicht „Lola“ nicht heran, was nicht an Sandra Schreiber selbst liegt. Dafür gibt es eher eine Vielzahl kleinere Gründe, zum Beispiel die langatmige Rede an das Gewissen, an Großkonzerne und die Moral, an zwanghafte Verweise auf Greta Thunberg in der Gegenwart. Theater soll Stellung beziehen, aber nicht Hort der Moralisierung sein

Insgesamt war das aber ein schöner Theaterabend mit flexiblen Schauspielern, die in eine Vielzahl von Rollen schlüpfen mussten. Und gerade die kleinen Rollen sind es, die man nicht unterschätzen sollte. Produzenten, Gärtner, Juweliere, Ärzte, Mütter, Demonstranten. Ein Extralob an Lili Wanner, die sich für die Kostüme verantwortlich zeigt und an Peter Scior für die Bühne. Wie liebevoll das arrangiert war, konnte man nicht zuletzt an den drei Musikern Dominik Hahn, Jürgen Knautz und Martin Speight sehen, die nachher in ihren 70er oder 80er-Jahre-Klamotten aus dem Bühnenrücken nach vorne kamen und Applaus entgegennahmen.

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