von Wisentaugen und Quecksilber

Wenn eine Oper nachmittags um drei stattfindet, können sie sogar Kinder besuchen. Wer denkt, dass dies graue Theorie ist, wurde heute eines besseren belehrt: zahlreiche Eltern nahmen ihren Nachwuchs mit in Carl Maria von Webers Freischütz in der Inszenierung von Carlos Wagner. Ein bisschen Bildung hat schließlich noch niemandem geschadet.

Als das Sinfonieorchester unter Leitung von Stefan Veselka die ersten Takte spielt, wird ein stattlicher Hirsch auf die Membranleinwand projiziert. Natürlich sind die Hörner die deutlichsten Instrumente,  es geht um die Jagd. Schließlich hebt sich der Vorhang, das bestimmende Bild ist ein riesiger umgestürzter Baum, dessen Wurzelwerk zum Auditorium zeigt und dessen oberer Teil beim Sturz ein Haus entzwei geschnitten hat. Schnell wird klar, dass sich die Dorfgemeinschaft über den Jägerburschen Max lustig macht. Ansonsten treffsicher hat er heute alles verfehlt. Wird zuerst der erlegte Rehbock mit am Stock zusammengebundenen Läufen über die Bühne getragen, ist es später Max selbst, der aus dieser misslichen Spottlage befreit werden muss – ausgerechnet von seinem Schwiegervater in spe, dem fürstlichen Erbförster Kuno. Der Gesang von Max – schön und authentisch Mirko Roschkowski – ist dann auch recht deprimierend. Die Dörfler feiern derweil mit Walzer. Was für Max besonders schwer wiegt, ist der Umstand, dass er – um seine Agathe zu heiraten – am Folgetag treffsicher sein muss. Das verlangt die Familientradition. Die Bühne dreht sich und in häuslicher Atmosphäre singt Agathe von ihrer Liebe zu Max, bei ihr das Ännchen, gesungen von der wie immer großartigen Eva Bauchmüller. Agathe, überzeugend auch Sara Rossi Daldoss, wirkt wie sie sein soll: hochgeschlossen, rein, unschuldig, gottgläubig. Die Hochzeitsvorbereitungen laufen. Derweil lädt der Jägerbursche Kaspar Max auf Wein in Dosen ein und präsentiert ihm eine Möglichkeit, 100%ig zu treffen – die sog. Freikugeln (sechse treffen, doch die siebte gehört dem Bösen). Max sieht keine andere Möglichkeit. Leider war die Demonstationskugel die letzte ihrer Art und Kaspar verleitet Max zum Neugießen in der Wolfssschlucht. Die Wolfsschlucht um Mitternacht klingt nach Drama, das beherrscht natürlich auch das Sinfonieorchester. Und als Agathe dann auch noch statt des blaublütigen Hochzeitsbundes ein schwarzer Totenkranz offeriert wird, nähert sich das Drama seinem Höhepunkt. Die nachfolgende Szene unmittelbar vor der Pause dürfte den allermeisten Opernbesuchern nachhaltig in Erinnerung bleiben. Denn ein gesanglich extrem gut aufgelegter Gregor Dalal als Kasper erklärt die Zutaten für die Freikugeln: nämlich ein rechtes Luchsauge, ein linkes Wisentauge, Quecksilber, zerstoßenes Glas von Kirchenfenstern, 3 Kugeln, die schon einmal trafen. Als der arme Max  von dem Sud aus den genannten Inhaltsstoffen trinkt, sieht man parallel die Häuslichkeit daheim zerfallen. Nach und Nach spuckt Max Freikugeln in eine Porzellanschüssel. Die siebte soll seine eigene Braut treffen.

Eine eindrucksvolle Oper mit tollen Special effects, die schon alleine einen Besuch wert sind. Dazu kommen großartige Stimmen und ein hervorragendes Sinfonieorchester.

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