wer ist schon Napoleon?

Bevor Solist Sebastian Wienand mit Mozarts Klavierkonzert c-Moll und Generalmusikdirektor Golo Berg mit Beethovens Eroica das münsteraner Publikum so richtig einfangen, gibt es gestern Abend noch eine echte Premiere beim ersten Sinfoniekonzert seit 1,5 Jahren im Großen Haus: Torsten Raschs EXITs. Und das beste dabei: der Komponist ist sogar anwesend und erklärt den interessierten Menschen bei der vorherigen Einführung, um was es dabei geht, nämlich eine bekannte Melodie (ein Marsch des Briten Edward Elgar) sucht einen Ausweg aus einer neuen Komposition. Dabei ist Elgars Melodie zum Teil so verfremdet, dass man schon sehr genau hinhören muss. EXITs hat Torsten Rasch in Anlehnung an der Brexit komponiert und so wirkt die Musik auf mich, als würde eine weiße Maus durch ein Labyrinth irren, immer auf der Suche nach dem Käsewürfel gibt es aber ständig falsche Abzweigungen, baut die Musik sich auf und bricht ab, das Fagott brummt mürrisch, die Flöten setzen ein, die Streicher und brechen schließlich wieder ab, um neu zu intonieren. . Und doch gibt es einen musikalischen Rahmen oder wie Rasch es sagt: „Man sollte die politische Botschaft nicht überhöhen – am Ende ist es doch Musik.“ Und die war flott und anders. Eine gelungene Premiere, findet auch Rasch, der ein paar Reihen vor mir erleichtert in den Sessel rutscht.

Und schon wird die Bühne merklich leerer und der Hammerflügel wird vorbereitet, größer als ein Cembalo, aber ein ganz ähnlicher Klang, letztlich auch voller, eine Mischung aus Konzertflügel und Cembalo vielleicht. „Den haben wir aus Tschechien abgeholt,“ erklärt Golo Berg, der die Ursprungsversion von Mozarts Konzert für Klavier und Orchester von vor über 200 Jahren hören möchte. Eine gute Entscheidung. War ich am Anfang noch skeptisch, wird das Spiel doch emotionaler als auf einem Steinway-Flügel und mit Sebastian Wienand gibt es auch einen richtigen Profi auf dem Instrument. Vorher gibt es noch eine kleine Slapstick-Einlage, weil Wienand nicht weiß, wohin es seine Mund-Nase-Maske drappieren kann, soll oder darf. Anders als wir es heute kennen, spielt Wienand als Solist auch wenn das Orchester spielt, er begleitet sich quasi selbst. Und doch gibt es Passagen, in denen das Orchester schweigt und man nur den hohen Klang des Tastenflügels hören kann, so filigran, so schnell, so schön.

Als Golo Berg nach der Pause Beethovens Eroica dirigiert, scheint er selbst auch ganz Zeit und Raum zu vergessen. Da geht es ihm, wie den meisten Zuhörern, doch der Musikdirektor muss ja auch dirigieren, was er mit dem ganzen Körper macht. Es gibt die Anekdote, dass die Sinfonie eigentlich Napoleon gewidmet war, doch Beethoven soll sie zurückgenommen und das Titelblatt zerrissen haben, als er von der eigenmächtigen Kaiserkrönung erfahren habe. In der Folge habe die Sinfonie dem Halbgott Prometheus gegolten. Diese mythologische Figur stand stellvertretend für die Ideale der Aufklärung.Ob das tatsächlich stimmt, sei dahingestellt, die Musik macht es noch spannender, noch dramatischer, als es „das folgenreichste Schlüsselwerk der Musikgeschichte“ ohnehin schon vermag. Das Orchester macht das auch sehr vital, es gibt eine „Diskussion durch Blicke“ zwischen zweiter Geige und Golo Berg, der immer noch mehr herauskitzeln will aus seinen Musikern.

Ein tolles Konzert mit begeistertem Publikum. Da reißt sich sogar das überwiegend ältere Publikum zu angedeuteten „standing ovations“ hin.

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