Berlin, Berlin, Berlin fährt zu uns

Auf eine große Bildfläche im Bühnenrücken werden Zeichnungen, Comics und Collagen projiziert, die der Buchillustrator Robert Nippoldt am Tisch sitzend anfertigt. Zeitgleich spielt das Trio Größenwahn, Christian Manchen am Flügel, Christoph Kopp am Bass und es singt Lotta Stein, die gleich auch mal erklärt, dass man in der Oper liebe und in der Operette verliebt sei. Eine Stufe darunter befinde man sich beim Schlager, alles andere sei der Chanson. Und schon entführt das Quartett sein Publikum in die Drei-Groschen-Oper oder zu Marlene Dietrich. „Ein rätselhafter Schimmer“ heißt die Show, mit der die Zwanziger Jahre in Berlin lebendig werden. Gestern und vorgestern  machte sie Halt in der Friedenskappelle am Willy-Brandt-Weg.

Schnell vergingen zwei Stunden Unterhaltung vor allem deshalb, weil die vier das so witzig und warmherzig machten, dass die Zuschauer ihre Akkus regelrecht auftanken. Natürlich war nicht alles Gold zu der Zeit der Weimarer Republik, ständig wechselten die Regierungen und mit ihnen die Kanzler. Um das auch für das Auditorium erlebbar zu machen, ließ Nippoldt Namen und Konterfei des jeweiligen Regierungschefs entsprechend lange seiner Amtszeit auf der Leinwand – eine Sekunde, ein Monat – von Gustav Bauer 1919 bis Adolf Hitler 1933. Manchmal blieb Zeit für allerlei Anekdoten, etwa der  Bartlosigkeit eines Kanzlers und des damit verbundenen Alleinstellungsmerkmals, manchmal jedoch verschwanden Bilder, ehe man den Namen lesen konnte. Meistens  sorgte das „Kleeblatt“ indes dafür, dass die angenehmen Seiten aus der Zeit auftauchten, natürlich die Musik, ein zupfender Bass, ein swingendes Klavier und wenn die Seeräuber-Jenny sang, schipperte auch schon mal ein Scherenschnitt-Segelboot oder eine fegendes Frauenzimmer über den Bildschirm. Zahlreiche Zeichnungen erstellte Nippoldt oder ergänzte sie, in dem er etwa kurzerhand der Gedächtniskirche ihr Dach zurückgab. Schön auch, wie Nippoldt weiße Hände und weißen Kopf vor schwarzem Hintergrund Klavier spielen ließ, während Pianist Christian Manchen den akustischen Background kreierte. Zwischendurch sank im Comic das Haupt des Musikers auf sein Instrument, was Manchen lautstark quittierte. Und dann tauchten auch noch die Comedien Harmonists auf. Zwischendurch ließ Nippoldt immer wieder vorbereite Sätze auf die Wand werfen, zum Beispiel „Ich muss kurz umbauen“, wenig später „Moment noch“ oder „Geschafft“. Und als man sich gar nicht mehr vorstellen konnte, welche weiteren Überraschungen auftauchen würden, entzündete sich grellrotes Licht auf dem Balkon und ein Abt begann Saxophon zu spielen, quälte sich musizierend die engen Treppen herunter, schlurfte in Badeschlappen längs durch den Saal auf die Bühne und verlieh der Musik ein aktuelles update. Das wiederum regte offenbar die Libido von Sängerin Lotta Stein dermaßen an, die mit dem Abt hinter der Bühne verschwand. Ein wirklich kurzweiliger Abend, der beim Publikum keine Wünsche übrig ließ und vielleicht tatsächlich einen rätselhaften Schimmer aus dieser Zeit hinterließ. Zweifellos ist das Zusammenspiel zwischen Musik, Zeichnungen, Scherenschnitt, Witz und Überraschung genial. Der größte Verdienst der vier ist die Freude, die sie bei den Menschen erzeugen, diese Präsenz, die Liebe zum Dasein. Solche Momente braucht der Mensch.

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