Tanz auf der Rasierklinge

Wenn das israelische Paar Neta Weiner und Stav Martin seinen Tanz zeigt, ist die übliche Bestuhlung im Pumpenhaus nicht zufällig aufgehoben. Das Publikum sitzt um eine Art Arena herum, einen Boxring, eine Kampfstätte. Unter dramaturgischer Leitung von Raz Weiner zeigte das Paar als Fortführung des letztjährigen Symposiums „Ausweitung der Tanzzone“ gestern Abend das Tanztheaterstück „Messer“, im Original „Cut.loose“.

Wer geschmeidige, fließende Bewegungen erwartet, Zärtlichkeit im Blick und Nähe, wird schnell eines besseren belehrt. Zentrales Accessoire ist eben ein Messer. „Put ist into my heart“, fordert Stav seine Geliebte dann auch unverhohlen auf. Und die nimmt Anlauf. Natürlich werden Stiche und Schnitte nur angedeutet, das aber so deutlich und schnell, dass sich der Herzschlag des Publikums beschleunigt. Wenn dann die Gewalt gänzlich zu entgleiten droht, wenn jederzeit mit Blut gerechnet werden muss, gibt es einen Kuss oder eine intime Berührung, nur um im Anschluss die Gewalt zu steigern. Neta macht auch nicht halt davor, ihren Geliebten zu entmannen. Dabei hat der gerade noch von seinen frühkindlichen Erfahrungen im Kibbuz erzählt. Und doch reißen sich beide die Kleider vom Leib, singen schließlich jiddische Volksweisen oder englische Lieder mit schöner, emotional berührender Stimme. Keine Zärtlichkeit, sondern wilde, animalische Lust. Fuck.

Wer in Israel aufwächst, kennt Gewalt als ständigen Begleiter, jeder kann Attentäter sein, vielleicht mit Bombe im Rucksack oder Messer an der Bushaltestelle. Nie ist man sicher. Um das auch für die Zuschauer erfahrbar zu machen, verteilen die beiden Tänzer ein gutes Duzend weiteres Messer, die unter martialischen Gesten verwendet werden sollen.

Ein beeindruckendes Stück, das so ganz anders ist und gerade deswegen bewegt, menschlich, politisch, traurig und doch immer mit Lebenswillen als Ausweg.

 

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