Wenn der Regisseur vor Beginn der Vorstellung auf die Bühne kommt, ist oft der Schauspieler einer tragenden Rolle erkrankt, doch Schauspieldirektor Frank Behnke winkt ab, es sei lediglich die Elektronik der drehbaren Bühne defekt. Wenn also schwarz gekleidete Herren auftauchten, hänge das mit der Notwendigkeit zusammen, mechanisch Kraft auszuüben. Dramaturgisch spiele das weiter keine Rolle. Gestern Abend im Großen Haus: Wilhelm Tell, bei dessen erstem Erscheinen die Filmmusik aus Winnetou erklingt.
Für die Schweiz ist es „der“ Stoff, bei uns ist Wilhelm Tell, Schillers vorletztes Drama, auf die Freilichtbühnen verbannt worden. Kein Wunder also, dass „die“ Szene besonders zelebriert wird: „Durch diese hohlen Gasse muss er kommen, es gibt keinen anderen Weg nach Küssnacht“, spricht Tell, bevor er die Armbrust anlegt. Da sitzt er hinten im Auditorium, vom Spot angestrahlt, und fordert das Publikum wieder und wieder auf, ihm diese Worte nachzusprechen, laut und lauter. Es wird etwas überreizt, auch wenn diese Sätze die sind, die den meisten Menschen in Erinnerung geblieben sein dürften, vielleicht aus der eigenen Schulzeit oder tatsächlich von der Freilichtbühne Billerbeck oder Tecklenburg.
Nach dem Tod von Rudolf von Habsburg 1291 wurden die Vogteien an neue Vögte aus dem niederen Adel verteilt. Unterwalden ging an Landenberger, Schwyz und Uri an Gessler. Immer wieder kommt es zu willkürlichen Übergriffen, so nimmt Landenberger einem Bauern das Ochsengespann weg, Frauen werden geschändet, dem Vater eines Bauern werden die Augen ausgestochen. Großartig in der Rolle des Landvogts Gessler ist Christoph Rinke, dessen eiskalte Augen, starre Blick und schneidende, sezierende Worte den Saal um 10 Grad runterkühlen. „Wir werden sie jagen, wir holen uns unser Land zurück“, sagt Gessler einmal in Anspielung auf Alexander Gauland. Er, Gessler, ist es dann auch, der Wilhelm Tell zwingt, seinem eigenen Sohn auf 80 Fuß einen Apfel vom Kopf zu schießen. Auch wenn Tell der Sage nach ein begnadeter Schütze ist, die Sehne einmal zu weit gespannt, von der Seite eine Bö, schon hat der Vater seinen eigenen Sohn getötet. Soviel Wut staut sich überall in den Ländereien auf, dass man sich heimlich des nächstens trifft und berät, was zu tun sei, um die Freiheit zu erlangen. Es kommt zum Rütlischwur, bei dem sich wackere Mannen gegenseitig ihre Hilfe zusichern. Zur offenen Rebellion kommt es aber erst, als Wilhelm Tell den Landvogt Gessler mit der Armbrust niederstreckt. „Durch diese hohle Gasse muss er kommen.“ Und da kam er dann tatsächlich, auf dem Weg noch ein neues Gesetz postulierend, zum Nachteil der Bevölkerung selbstverständlich.
Das Schauspiel ist ein bisschen zäh, was man weder dem Regisseur noch dem Ensemble anlasten kann. Man hat alles mögliche getan, um Kurzweiligkeit hereinzubringen, die drehbare Bühne, die auf der einen Seite mit Käfiggittern behangen ist, auf der anderen Seite auch als Projektionsfläche herhält, die Schauspieler haben das Spiel verlagert an die Seiten, mal führt eine Flucht mitten durch das Parkett, auf dass Besucher zur Seite rutschen müssen. Auch wenn das Thema „Freiheit“ aktuell und wichtig ist, insgesamt ist die Produktion nicht unbedingt einen Besuch wert.