Jeden Tag verlassen unzählige Autozüge mit bis zu 150 Fahrzeugen die kleine französische Stadt zwischen Jura und Vogesen. Peugeot lässt in Montbéliard seine Autos zusammenschrauben. Hier beginnt meine Tour mit dem Rad. Die Industriestadt liegt an dem hübschen Flüsschen Doubs, das sich durch das Doubs-Tal Richtung Besancon schlängelt und schließlich westlich von Dole in die Saône mündet. Die Fahrt ist hier ein einzigartiger Genuss, überall gibt es gut ausgezeichnete Radwege und so gut wie keine Steigungen. Zwischendurch kommt man durch den wunderschönen Ort Baume-les-Dames, den der Doubs in mehreren Windungen auf einer Strecke von etwa 10 Kilometern durchquert. Hier gibt es noch kleinere Regenschauer aber nichts, was bedrohlich wäre. Der erste Teil meiner Tour ist identisch mit der Tour im Jahr zuvor, als ich später an der Loire zum Atlantik fuhr. Diesmal aber soll es das Mittelmeer werden und so verlasse ich irgendwann den Radweg „Euro-Velo-6“, fahre an der Saône entlang nach Lyon. Auch aus der Radler-Perspektive ist die Stadt beeindruckend, fährt man doch direkt, noch vor der Kaimauer, am Wasser entlang. Imposante Bauwerke in hügeliger Umgebung, alte und neue Brücken und schließlich der Zusammenfluss von Saône und Rhone. Es erfordert etwas Geschick, den Containerhafen zu umfahren und als ein junger Franzose mich um eine Pumpe bat, fiel mir siedend heiß auf, dass ich diese samt Flickzeug vergessen hatte. Das sollte sich noch rächen. Von Lyon aus führt der Weg dann durch das Rhone-Tal und man braucht schon gutes Kartenmaterial und ein funktionsfähiges Navi. Mich führte es jedenfalls immer wieder auf die route nationale, die ich dann tatsächlich 30 Kilometer frustriert befuhr. „Sur le pont d`Avignon“ – Mitte des 19. Jahrhunderts für die gleichnamige Oper komponiert, ist ein natürlich auch in Deutschland bekanntes französisches Volkslied. Einmal auf der Brücke tanzen kostet 5 Euro. Was soll`s ! Avignon ist es wert, sich mehr Zeit zu nehmen. Die Stadt an der Rhone in Südfrankreich hat jetzt im Juli zusätzlich zu ihrem ganzen Charme noch ein dreiwöchiges Theaterfestival zu bieten. In einer schnuckeligen Außengastronomie lerne ich ein Paar aus Paris kennen, das sich für zwei Wochen in Avignon einquartiert hat – nur um Theaterstücke zu sehen. Ich bin von dieser ganzen Atmosphäre so begeistert, dass ich mir sofort eine Karte kaufe. „Rètours à Reims“ von Didier Eribon sehe ich mir an, ein sehr intensives Zwei-Personen-Stück über die Interaktion von sexueller und sozialer Scham. Das Stück läuft schon mittags um zwölf in einem Theaterkomplex, vergleichbar mit den Studiokinos bei uns, irgendwo anders in Saal 3 lief Molière, darüber Foucault. Noch ganz benommen verlasse ich Avignon Richtung Arles. Und da passiert es eben: 14 Kilometer vor Arles verliert mein Reifen hinten Luft. 14 Kilometer schieben bei 35 Grad im Schatten – aber es gibt keinen Schatten. So gönne ich mir in Arles ein opulentes Mahl, ein großes Bier und radle schließlich – nach der Reparatur – in die Camarque, das Gebiet im Rhone-Delta in der Provence, das bekannt ist für seine weißen Wildpferde. Da treffe ich so gut wie niemanden mehr – auch die Pferde übrigens nicht. Die Franzosen kennen das Rad nur als Sportgerät, nicht aber als Fortbewegungsmittel. Als ich vom Bahnhof in Port-de-Bouc nach Münster fahren will, erklärt mir die freundliche Dame am Schalter, dass ich zunächst nach Marseille müsse, dass da aber heute keine Zug mehr fahre. Die 45 Kilometer kann ich auch radeln. Ungläubiges Staunen. Doch ich habe den Mund etwas voll genommen. Schließlich geht es in die Berge, schöne Aussichten, doch durchaus anstrengend. Überhaupt – ein Wort zur Rückreise: wer glaubt, in Marseille einsteigen und Münster aussteigen zu können, ist natürlich naiv. Wenn man allerdings in Lyon, Dyjon, Mulhouse, Belfort, Strasbourg, Appenweie, Karlsruhe, Mainz, Koblenz, Duisburg umsteigen muss, dann fehlt nur noch der Schienenersatzverkehr ab Nottuln-Appelhülsen. Eine schöne Reise mit freundlichen, hilfsbereiten Menschen, tollem Wetter und genug Bewegung für Körper und Geist.