Guatemala, Honduras, El Salvador, fünf Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren versuchen sich 3.000 Kilometer auf Güterzügen durch Mexiko bis in die Vereinigten Staaten durchzuschlagen. Eine wachsende Abneigung gegen Flüchtlinge und insbesondere Trumps Plan, auf dem Grenzgebiet eine Mauer zu bauen, verleihen Dirk Reinhardts Roman „Train Kids“ eine aktuell dramatische Dimension. Als das Buch 2015 erscheint, ist auch hier fast der Zenit der Flüchtlingskrise. Gestern stellte der Münsteraner Autor sein Werk im Bennohaus vor.
Viele Jugendliche sind, meistens in Begleitung ihrer Mütter, oben in den nett hergerichteten Vortragsraum gekommen, unter ihnen auch die 18-jährige Lara, die bereits vor 8 Jahren bei Reinhardts letzter Lesung im Archäologiemuseum anwesend war. Damals las der Autor aus seinem Erstlingswerk „Anastasia Cruz“. Als der promovierte Historiker gestern schließlich das Mikrofon ergreift, schlägt er nicht einfach seinen Roman auf und beginnt zu lesen. Zur Recherche ist er damals, 2012, nach Mittelamerika gefahren. „Die Personen im Roman, der 14-jährige Miguel etwa oder das Mädchen Jaz, das sich als Junge verkleidet hat, um während der Flucht nicht von Männern belästigt zu werden,“ erzählt Reinhard „sind zwar fiktiv“. Doch Reinhardt hat sich mit vielen Jugendlichen vor Ort unterhalten. Er hatte auch viel Zeit, denn die Zugstrecke durch Mexiko wird nicht von Personenzügen bedient. Es gibt also keine Fahrpläne und die Flüchtlinge müssen abseits der Strecke einfach auf einen Zug warten. Das kann schon mal ein paar Tage dauern. Damit die Zuhörer sich das auch so richtig gut vorstellen können, werden immer wieder Bilder auf ein Leinwand projiziert, nicht zu viele, dass man quasi erschlagen wird, doch so viele, dass man auch emotional-visuell gefangen genommen wird. Da merkt man natürlich, dass Reinhardt immer wieder Lesungen, vor allem in Schulen veranstaltet. Vier Jugendliche, die unter einem abgestellten Waggon sitzen und warten, Zivilpolizei, bewaffnet, bedrohlich. Und dann erzählt Reinhardt, wie es zur Flucht kommt, dass Mütter auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen, um Geld für die Heimat zu verdienen, in die USA gehen, die Kinder bei Nachbarn oder Verwandten „geparkt“, dass die Mütter jedoch nicht zurückkommen. Und dann, irgendwann, beginnen die Kinder aus Verzweiflung die Flucht, die wilde Reise, Abenteuer, das niemand will, echt, real, authentisch. Als Reinhardt seine eigentliche Lesung beginnt, ist das Bennohaus wie elektrisiert. Der Start mit dem Sprung auf den fahrenden Zug, aus der Deckung durch einen Graben mit stinkender Flüssigkeit, das Knie aufgeschlagen, wo ist der Kleinste? Dann die Übergriffe der Polizei, Kinder, die ausgeraubt und geschlagen werden.
Train Kids, Gerstenberg Verlag ISBN 978-3-8369-5800-4 14,95 €
Das neue Buch des Autors liegt schon im Verlag, trägt aber bislang lediglich einen Arbeitstitel. verraten darf ich aber, dass es auch dabei um eine Fluchtgeschichte geht, eine Flucht aus Afghanistan über den Iran und die Türkei.