Güte im Businessanzug

Aus einer riesigen, projizierten Pupille wird ein Pappkarton geschoben, einer von vielen, von einer ganzen Pappkartonmauer, die nach und nach bröckelt, je nach Auftritt der Protagonisten. Einzig Shen Te, die als Prostituierte arbeitet, um in harten Zeiten zu überleben, entfaltet sich aus einem Karton. Abfall der Gesellschaft und doch die einzige, deren innerer Kompass zu funktionieren scheint. Gestern war Premiere im Kleinen Haus von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ in einer Inszenierung von Katrin Plötner.

Shen Te, überzeugend von Sandra Bezler in ihrer Güte oder auch naiven Leichtgläubigkeit gespielt, wird von den Gottheiten reich entlohnt, weil sie die einzige war, die ihnen Unterschlupf für die Nacht gewährte. Und damit sieht Shen Te endlich die Chance, wegzukommen in ein anderes, ein neues Leben. Sie kauft einen kleinen Tabakladen. Damit jedoch beginnt erst das Unglück.

In 10 Episoden haben die Theaterleute das Stück eingeteilt. Das ist nett gemacht, wie da auf großen Pappschildern angezeigt wird, wo man gerade geografisch verortet ist. Mal werden die Schilder hereingetragen, dann durch die Mauer gereicht, die eigentlich eine Doppelmauer ist, mal fallen sie herunter oder sind so klein geschrieben, dass mit einer riesigen Lupe nachgeholfen werden muss. Später wird sogar die nahende Pause angekündigt.

Nach und nach erscheinen die Witwe Shin (Carola von Seckendorff), die den Tabakladen verkauft und etliche Bekannte, die sich im Laden einquartieren. Shen Te lässt sich schnell ein schlechtes Gewissen machen, nimmt sie alle auf und versorgt sie. Denn wo sollen sie sonst hin? Auch der Schreiner bekomme noch seinen Lohn für die Regale, sagt er. In der Rolle klasse: Frank-Peter Dettmann, der – wie alle anderen – mehrere Figuren darstellt. Der Schreiner habe Kinder, die essen müssen, alles sei noch nicht bezahlt, wie nachdrücklich, fordernd, insistierend er ist. Alle nutzen die Güte von Shen Te aus.

Und dann rettet sie den arbeitslosen Flieger Yang Sun vor einem Suizid. Schnell kommen sie sich näher. Ach wie schön, wenn Emotionen im Spiel sind. Auch das Vorleben von Shen Te scheint für Yang Sun kein Problem darzustellen. Was sind schon pekuniäre Engpässe, wenn die Liebe im Spiel ist. Nur 500 Silberlinge brauchts – und schon kann der Flieger wieder in die Lüfte gehen, eindrucksvoll von Joachim Förster gespielt. Wie falsch doch sein Spiel ist, wird offenbar in Szenen, in denen er mit seinem Vater gezeigt wird.

Niemand kann aus seiner Haut, auch Shen Te nicht. Aber sie erkennt, dass sie Hilfe braucht. So ersinnt sie ihren Vetter Shui Ta, der nun ganz anders ist. Geschäftsmann durch und durch, gradlinig ohne (falsches) Gewissen. Sie spielt ihn selbst, im Businessanzug, eine gelungene Verwandlung, von der Mimik, der Gestik, der Sprache, Körperhaltung, dem ganzen Auftreten. Da fluppt alles ganz anders. der Schreiner gibt sich mit deutlich weniger zufrieden und die einquartierten Gäste verschwinden. Nur wo ist Shen Te?

Eine gelungene Inszenierung, in der man erkennt, dass Sezuan überall ist, über Örtlichkeiten und Zeiten hinweg. Tolle Schauspieler, fantastische Videoprojektionen und immer wieder kleine Besonderheiten.

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