ich hab ja nur ihre Schulter geküsst

Rot-weißes Absperr-Flatterband, nur jede zweite Reihe, und die auch nur spärlich besetzt, die Ränge gar nicht. Es macht natürlich einen Unterschied, ob das Große Haus voll ist oder sich nur 60 Menschen im Parkett verlieren. Aber immerhin hat das Theater für eine kurze Zwischenzeit überhaupt geöffnet. „Tonight“ hieß das Programm am gestrigen Abend, in dem Lieder und Ausschnitte aus Oper, Operette und Musical gezeigt wurden.

Nach dem ersten Appetithappen, „Largo al factotum“ aus dem Barbier von Sevilla, mit dem Filippo Bettoschi das Publikum gleich spüren lässt, was gefehlt hat, ist es Operndirektorin Susanne Ablaß selbst, die erklärt, dass auch die Sänger*innen bei der Generalprobe am Tag zuvor Probleme mit den Abstandsregelungen hatten. Das (dezimierte) Auditorium solle doch bitte Corona berücksichtigen, wenn sich im Duett nicht vis-a-vis angesungen werde – denn ansonsten müsse die Bühne zwei Meter breiter sein. Das haben dann später Kathrin Filip und Kristi Anna Isene direkt aufgenommen, als sie das Eifersuchtsduett aus der Dreigroschenoper gesungen haben. Denn diese Fassung, in der zwei „zänkische Drosseln“ die Liebe für sich reklamieren, endete mit einem schwungvollen Aufsetzen einer Mund-Nase-Bedeckung, während sich das letzte Wort „lächerlich“ ja eigentlich auf die Eifersucht bezieht, oder?

Kathrin Filip, im schönen, schulterfreien , langen Kleid singt später auch mit Pascal Herington, der Münster leider verlässt und ans Staatstheater nach Augsburg wechselt, „Tonight“ aus der West Side Story und das machen sie so schön, dass man den Wechsel von Herington nur noch mehr bedauert.

Für mich persönlich war der Auftritt von Bass Christoph Stegemann am beeindruckendsten, witzig, wie er da mit dem ganzen Körper arbeitet, die Miene verzieht, wenn er singt: „Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst“ aus dem Bettelstudenten von Carl Millöcker. Bei der heutigen „Me-too-Debatte“ hätte er wohl nichts zu lachen. Aber auch musikalisch fand ich das sehr gelungen. Da kann einem schon das Herz aufgehen, wie das bei dem ganzen Abend der Fall war. Coronabedingt ist ja die Spielzeit auf 60 Minuten begrenzt worden. Doch die waren so prall gefüllt, dass man subjektiv das Gefühl hatte, einem kompletten Opernabend erlebt zu haben. Suzanne McLeod, Marielle Murphy, Gregor Dalal, Youn-Seong Shim – habe ich noch jemanden vergessen? Ja, den Mann am Klavier. Boris Capeda hat einen guten Job gemacht. Ich freue mich auf die neue Spielzeit, auf viele Opernbesuche – dann hoffentlich ohne Flatterband. Vielen Dank an die Theatercrew.

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